Achim schrieb:
(...)
> Aber Du hast recht: Die übliche "Wert"-Ermittlung für Massenwaren ist hier
> nicht wirklich anwendbar, denn dieses Buch konnte ja praktisch nur ich
> schreiben. Es ist also eher einem "Kunstwerk", einem Unikat, vergleichbar.
> Solche Sachen hat Marx mit Recht ausgeklammert aus seinen Wert-Überlegungen.
> Die "gesellschaftlich nötige Arbeit zur Herstellung eines Buches, in dem
> eine neuartige Marktwirtschaft ohne Kapitalismus skizziert wird" ist schwer
> bestimmbar.

Lieber Achim,

Imre Lakatos hat die Ausklammerung von Gegenbeispielen, die nicht in
eine Theorie passen als die Methode der Monstersperre bezeichnet. (Imre
Lakatos: Beweise und Widerlegungen. Die Logik mathematischer
Entdeckungen. Braunschweig/Wiesbaden: Vieweg 1979, S.9)

Zwar müssen nach unserer Erkenntnis alle Gegenstände einen
(ökonomischen) Wert haben (auch wenn dieser nahe Null ist), aber es gibt
Gegenstände, die einen völlig unerklärlichen Wert haben. Diese
betrachten wir als Monster und retten damit die Normalität und
Richtigkeit unserer Theorie.

Die Volkswirtschaftslehre (Ökonomik) ist voll von solchen Monstern. Mit
Hilfe von Umdeutungen und anderen Hilfskonstruktionen gelingt es ihr
immer wieder, die aufgestellten Behauptungen zu verteidigen. (Im
abendlichen Filmprogramm lässt sich der Bürger dann die Monsterjagt
vorspielen, weil er nur so seine bildsuchenden und modellintegrierenden
Gehirnaktivitäten auf die Reihe kriegt...)

Lakatos empfiehlt für die Mathematik im Falle des Auftauchens von
Monstern, Hilfssätze zu konstruieren, die für die Monster gelten und
diese Hilfssätze in die Hypothesen der Theorie einzuarbeiten.

Wenn sich dein Buch - trotz der immensen Arbeit, die du zu seiner
Herstellung verwendet hast, kaum verkaufen lässt, dann kann man das wie
folgt erklären:

Das Buch hat einen geringen Marktwert, weil der Marktwert eines Gutes
etwas anderes ist, als der Wert eines Gutes. Die Marktwertbestimmung
findet in einem andern Kontext statt, wie die Wertbestimmung.

Das Buch hat einen Wert, weil du, Achim, einen Teil deiner Lebenskraft
in die Verfassung des Buches verausgabt hast.

Dieser Teil deiner Lebenskarft hat somit einen geringen Marktwert.

Es gibt andere Artefakte, die einen hohen Marktwert haben, in denen aber
nicht weniger Lebenskraft steckt, als in dem von dir geschaffenen. Das
sind z.B. einige Kunstwerke, die einen interessierten Markt gefunden
haben.

Man könnte nun den Satz formulieren: der Marktwert eines Gutes (einer
Leistung) wird durch den Markt bestimmt. Wenn es (mindestens einen)
Marktteilnehmer gibt, der für dein Artefakt zu zahlen bereit ist,
bekommt das Gut einen Marktwert > Null.

Aus mir unbekannten Gründen setzt du aber auf die Arbeitswertlehre, die
den Wert einer Sache nicht als das Ergebnis einer Bewertung durch den
Markt definiert. Lieber erklärst du dein Produkt als Monster. Warum?
 
> Aber aus der Tatsache, dass Kunstwerke usw nicht mit der Arbeitswertlehre
> bewertbar sind, würde ich keinesfalls folgern, dass
> 1) die Werttheorie, die ja für alle industriell hergestellten Waren
> einwandfrei richtig ist, insgesamt zu bezweifeln wäre, und
> 2) dass man Häuser, die noch nicht verkauft wurden, nicht bewerten könne.
> Denn für Häuser kann man die Arbeitszeit zur Herstellung gut schätzen, und
> wenn man dann noch die Lage und den Wert des Grundstücks dazunimmt (das geht
> allerdings nicht unmittelbar mit "Arbeitswertlehre", siehe mein Buch,
> Kapitel 2.4), hat man den Wert geschätzt.

Richtig sagst du: Häuser (als Beisiel für Güter) werden bewertet.
Folgerichtig müsstest du nun der Frage nachgehen, wer kann denn bewerten
und von welchen Interessen läßt er sich dabei leiten. Was geht also im
Kopf eines Menschen vor, der sein Vermögen oder seine Lebenskraft dafür
einsetzt, das Haus (oder dein Buch) zu erwerben. Die Wertlehre müsste
also eigentlich eine Bewertungslehre sein.

Da kenn ich eine ganze Reihe von biologischen, psychologischen und
anderen Theorien.

Du bedienst dich aber einer anderen Vorgehensweise, in dem du dich auf
ein klassisches Erklärungsmodell berufst und unterstellst, dass der
fehlende Marktwert nichts über den Gebrauchswert aussagt.

> Dagegen ist der GEBRAUCHSWERT meines Buches besser bestimmbar: Es kann dem
> Leser (wenn er sich durch gelegentliche Formeln nicht abschrecken lässt) die
> grundlegenden Abläufe der Marktwirtschaft beibringen, und es enthält auch
> einen ersten Ansatz, wie die Marktwirtschaft von Kapitalismus, Ausbeutung
> und Wachstumszwang befreit werden könnte. Immerhin.

Wenn das stimmt, dann ensteht von neuem die Frage: warum hat die
Kenntnis von den grundlegenden Abläufen der Marktwirtschaft keinen
Marktwert?

Auch hier: Da kenn ich eine ganze Reihe von biologischen,
psychologischen und anderen Theorien.

(...)
> (Achim:) Ja, ok. Es gibt sicher verschiedene "Wert"-Begriffe. Ein einziger
> Wertbegriff, der womöglich Tauschwert und Gebrauchswert zusammenwirft, kann
> nur zu Verwirrung führen. Die "wertvollen qualitativen Eigenschaften"
> gehören zum Gebrauchswert (nicht zum Tauschwert oder "ökonomischen Wert"):
> Dieser wird NICHT in Geld ausgedrückt, sondern eben in Form der Liste
> wertvoller Eigenschaften.

...ja, wertvoller Eigenschaften für den *Bewerter* (Käufer), der sein
Interesse sehr wohl in Form von Zahlbereitschaft (in Geld/Währung)
zeigt. Für die Wertbestimmung des Kunden kenn ich eine ganze Reihe von
biologischen, psychologischen und anderen Theorien.

 - Aber das spricht nicht dagegen, den Begriff
> "ökonomischer Wert" zu verwenden für dasjenige, was bei reproduzierbaren
> Waren bestimmend ist für den mittleren Preis, zu dem diese Waren gehandelt
> werden. Wenn man dann darauf kommt, dass die "gesellschaftlich erforderliche
> Herstell-Arbeit" für diesen mittleren Preis wesentlich ist, dann kann man
> diese auch "messen", so dass der Wert ein Messwert wird. Dieser Wert
> existiert für eine Ware auch dann, wenn sie noch niemals ver- oder gekauft
> wurde.

Na, ja. Also zur Erlärung, dass sich ein mittlerer Preis gleichartiger
Waren einstellt, mag das reichen, es sagt aber nix über die Höhe des
durchsetzbaren absoluten Preises aus.

>    Vielleicht noch als Analogie: Die Ware (auch ein Haus) hat einen
> (manchmal schwankenden) "ökonomischen Wert", unabhängig davon, ob sie schon
> einmal ge- oder verkauft wurde, gerade so wie z.B. jeder Mensch eine
> (manchmal schwankende) Körpertemperatur hat, egal ob er diese schon jemals
> gemessen hat oder nicht.

Damit gibst du eigentlich schon die Lösung des Problems an: die
Bewertung eines Gegenstandes ist eine Folge der Körpertemperatur. Wenn
mich eine Sache so richtig heiß macht, dann will ich sie auch haben und
tue alles Mögliche dafür.

Warum lassen wir nicht diese ganzen Versuche, in der Welt der Artefakte
Begründungen dafür zu finden, warum wir den einen Gegenstand für
wertvoll, denn anderen für wertlos halten?

Der Grund liegt nicht im Gegenstand, sondern in uns.

Wie singt es so trefflich: Eine Frau wird erst schön durch die Liebe...

Und für die Verliebtheit kenn ich eine ganze Reihe von biologischen,
psychologischen und anderen Theorien.

Grüße

Franz Xaver Schröder