Ernst Dorfner

„Vollgeld“

und hierzu erforderliche Klarstellungen zum Thema „Geld“

 

Teil 5

Ein Exkurs: Wachstum und Konjunkturpolitik heute

 

 

I. Kapitalismus: Eigentum auf das Spiel setzen

Risiko und Gewinn: Ohne Gewinnaussicht kein Risiko

 

Es sind immer mehr die Geschäftsbanken, die verzinsliche Kredite schöpfen und damit das Geld hervorbringen.

 

1.     Neben der Schaffung von Gütern und Leistungen ist bereits die Schaffung von Geld immer mehr ein profitorientiertes Geschäft der Geschäftsbanken durch Schöpfung von Krediten aus dem Nichts.

 

Die Folgen wiegen schwer, ist doch Geld eines – wenn nicht das – zentrale Steuerungs- und Kommunikationsinstrument nicht nur der Wirtschaft, sondern der ganzen Gesellschaft. Doch was sind die Voraussetzungen für die Entstehung von Geld?

 

2.     Kein Kredit ohne Verschuldung, das heißt, kein  Kredit ohne „Auf das Spiel setzen von bereits erworbenen Eigentum.“

 

3.     Da aber mit der Tilgung von Krediten immer wieder Geld verschwindet – oder vernichtet wird – bedarf es immer wieder neuer Kredite und damit neuer Verschuldungen, damit ausreichend Geld vorhanden ist.

 

4.     Ausreichend heißt dabei: Es muss soviel Geld vorhanden sein, dass die angebotene Waren- und Dienstleistungsmenge einer Periode zu Preisen verkauft werden kann, welche die Erzeugungskosten plus einem Zuschlag für Risiko und Gewinn plus einem Zuschlag für die Verzinsung der Fremdfinanzierung enthalten.

 

Dieses gilt nun aber nicht nur für ein einzelnes Unternehmen, sondern auch für alle Unternehmen zusammen, also der gesamten kapitalistischen Unternehmung.

 

5.     Auf Dauer kann die kapitalistische Geldwirtschaft nur dann funktionieren, wenn gesamtwirtschaftlich die Gewinne dominieren, also ein positiver Gewinnsaldo entsteht. Besteht nur eine Gleichwahrscheinlichkeit von Gewinn und Verlust, würde niemand das Risiko auf sich nehmen, welches mit dem Einsatz von Eigenmittel verbunden ist.

 

6.     Daraus ergibt sich nun als der entscheidende Punkt die Notwendigkeit der fortgesetzten Ausweitung der Geldmenge.

 

Bei stets gleichbleibender Geldmenge können die erzeugten Güter und Leistungen später im Schnitt auch nur zu Preisen verkauft werden, die ihren Kosten ohne jegliche Zuschläge entsprechen. Jeder Euro aber, der dann auf der einen Seite als Mehrertrag, als Gewinn einsteht, muss auf der anderen Seite zu einem Verlust führen.

„Die ‚List der Vernunft’, die im geldwirtschaftlichen System wirkt“ - so H. C. Binswanger  (11)-  „besteht nun darin, dass sich die Produzenten durch die Aufnahme von Krediten aus dem neugeschöpften Geld gleichzeitig die (zusätzliche) Nachfrage schaffen, die nötig ist, damit sie ihre Waren mit Gewinn absetzen können. Die Kredite werden ja dazu benützt, Löhne und Eigentümerrenten zu bezahlen, also zusätzliches Einkommen entstehen zu lassen, und zwar bevor die Waren auf den Markt kommen.“ Mit diesen werden ja die schon fertigen Produkte - die schon früher mit geringerem Geldeinsatz hergestellt wurden - nun gekauft. Und sie können ob des höheren Einkommens auch mit Preisen gekauft werden, die höher sind als der Kosten von gestern

 

Die kapitalistische Wirtschaft  - die Geldwirtschaft - braucht also zwingend ein genügend großes Wirtschaftwachstum. Nur wenn der Gewinnsaldo positiv ist, ist die Wahrscheinlichkeit genügend größer als 1, dass die Mehrheit der Betriebe Gewinne – und keine Verluste – machen.

Der Antrieb unserer Wirtschaft fängt also bereits dann zu stottern an, wenn ein Wachstum der für Netto-Investitionen ausgegebenen Gelder zwar noch vorhanden, aber schon zu gering ist.

 

7.     Es gehört  zum Wesen eines Unternehmens, welches seine Produktion über Kredite vorfinanziert, dass es  einen Ertrag  abwirft. Zur Absicherung der Kredite dienen die Eigenmittel (Eigenkapital), welches im Falle eines Verlustes  teilweise oder ganz verloren geht.  

 

In der Unternehmensbilanz drückt sich dies in einer Minderung bis zum Verlust der Eigenmittel aus.

 

8.     Makroökonomisch zwingt dies zu einem (genügend großen) Wirtschaftswachstum, da nur bei einem (genügend großen) positiven Gewinnsaldo die Wahrscheinlichkeit, keinen Verlust an seinem bereits erworbenen Eigentum zu erleiden, (genügend) größer als 1 ist.

 

9.     Makroökonomisch steht ein positiver Gewinnsaldo gerade nicht in Konkurrenz zu einer hohen Lohnsumme, sondern setzt letzteres ersteres voraus.

 

Es wird hier darauf aufmerksam gemacht, dass dieses nur makroökonomisch so gilt.

 

10.  Eine stationäre Wirtschaft, bei der mit dem gleichen Geldeinsatz immer wieder gleich viel erzeugt wird, kann eine Sicherheit des für die Kredite hinterlegten Eigentums  gleich oder größer als 1 nicht gewährleisten.

 

Die Geldwirtschaft ist ein hochkomplexes dynamisches System höherer Ordnung - so wie ein Flugzeug. Dieses braucht die Fortbewegung, so es einmal vom Boden abgehoben hat, nicht nur zur Zielerreichung, sondern auch zur Aufrechterhaltung des aerodynamischen Auftriebs – und damit des Systems „Fliegen“.  Es  wäre zerstörerisch hier in Kategorien des hydrostatischen Auftriebs  zu handeln. Ein Schiff geht nicht unter, weil es sich nicht mehr vorwärts  bewegt, ein Flugzeug aber stürzt dann - schon lange vorher - ab. Die kritische Geschwindigkeit liegt ja weit oberhalb der Null-Geschwindigkeit - abhängig vom Flugzeugtyp. Für ein modernes Verkehrsflugzeug wesentlich höher als für einen Doppeldecker. 

Ähnliches gilt auch in der Wirtschaft.  So braucht die moderne Geldwirtschaft heute des wirtschaftlichen Wachstums - und die kritische Wachstumsrate liegt weit jenseits eines Null-Wachstums. Die hierfür erforderlichen Netto-Investitionen bringen das zusätzliche Geld in das System hinein, das notwendig ist, um Zinsen und Gewinne überhaupt bezahlen zu können. Und die Gewinne sind wiederum notwendig, um das System vor dem Absturz zu bewahren.

Solange hier keine andere Möglichkeit gefunden wird, das System aufrecht zu erhalten, stellt sich also die Frage gar nicht, ob man das Wachstum mag oder nicht mag. Derzeit muss es sein, wie die Ökonomen ja täglich sagen. 

 

 

J. Aktive Konjunkturpolitik heute

Subventionierung der Gewinne und der Zinserträge

 

Es sind dies Einsichten, welche die Wirtschaftspolitiker und – berater schon lange zu entsprechenden Handlungen veranlassen, wie wohl sie die Theorie nicht zur Kenntnis nehmen. Dass die Wirtschaft wachsen muss, betonen sie zwar ständig, die Frage, warum dies so sei, ist aber noch nie beantwortet worden. (12)

Diese so veranlassten Handlungen sind bekannt unter den Titeln:

  • angebotsorientierte Wirtschaftspolitik, bzw.
  • nachfrageorientierte Wirtschaftspolitik

 

Die angebotsorientierte Politik basiert auf der noch immer und nahezu ausschließlich gelehrten neoklassischen Theorie vom Wirken der unsichtbaren Hand des Adam Smith. Danach sind Wirtschaftskrisen durch Störungen des Gleichgewichts der relativen Preise (13) insbesondere im Verhältnis zwischen Kapital und Arbeit verursacht. Die Unternehmer investieren nicht mehr, weil die Gewinne im Verhältnis zu den Löhnen zu gering sind.

Deshalb versucht nun der Staat durch Senkung der Unternehmenssteuern den relativen Preis für Kapital anzuheben, damit die Investitionstätigkeit wieder anzukurbeln, und hofft, die auf der einen Seite verminderten Steuererträge durch Zunahme der Arbeitsplätze und der dabei anfallenden Steuern und Erträge mindestens kompensieren zu können. Ansonst bleibt der Staat passiv.

Soweit die Theorie dieser passiven Konjunkturpolitik.

Durch die vermehrte Aufnahme von Kredite verbessert sich auch die Gewinnsituation der Geschäftsbanken. Dabei schafft sich die Wirtschaft das nötige Geld selbst in einem Zusammenspiel von Produktions-  und Bankensektor.

 

Bei der nachfrageorientierten Politik wird zwar von der gleichen Theorieschule ausgegangen, doch ist der Glaube an die invisible hand stark relativiert. Seit J. M. Keynes ist der Staat gehalten, aktive Konjunkturpolitik zu betreiben. Er ist es nun, der  Kredite aufnimmt, um damit zusätzliche Arbeitsplätze und zusätzliche Nachfrage zu erzeugen.

In diesem Fall werden die Gewinne zu über eine Verschuldung des Staates subventioniert.

 

1.     Bei der passiven wie auch der aktiven Konjunkturpolitik geht es um die Sicherung eines ausreichend hohen makroökonomischen Gewinnsaldos, um so die Unternehmen mittelfristig wieder zu eigenen Netto- Investitionen zu veranlassen.

 

Befürchtungen wegen einer besonderen Inflationsgefahr durch das zusätzlich in den Umlauf kommende Geld werden dabei mitunter geäußert, doch wird andererseits davon ausgegangen, dass eben auf Finanzierungsüberschüsse zurückgegriffen wird, der Staat also nur das Geld, jene Ersparnisse aufnimmt, welche die Wirtschaft nicht aufnimmt. Eine Inflation könne also nicht entstehen, denn eine Finanzierung des Defizits über die Zentralbank und damit über die Notenpresse – so der Gedankengang – ist dem Staat untersagt. 

Nach unseren Einsichten kann es diesen Finanzierungsüberschuss nicht geben, solange überhaupt noch ein Wachstum vorhanden ist. Bei jedem Wachstum muss ja auf zusätzliche, d.h. neugeschöpfte Kredite zurückgegriffen werden, welche die Geschäftsbanken – wie gesagt – aus dem Nichts schöpfen.

Wenn  jedoch dieses Wachstum nicht ausreichend ist, um einen ausreichend hohen positiven Gewinnsaldo hervorzubringen, dann muss oder soll der Staat eingreifen. Ebenfalls mit Krediten aus dem Nichts. 

Damit aber wird die Begründung, warum der Staat keine Zentralbankkredite aufnehmen darf, ad absurdum geführt. Denn auch die Geschäftsbanken setzen eine – virtuelle - Notenpresse in Gang. Die Begründung des Verbots von Zentralbankkrediten direkt an den Staat ist also nur (Zweck-?) Legende.

 

So werden bei dieser Politik nicht nur die produzierenden Unternehmen subventioniert. Die Geschäftsbanken können über die Kreditzinsen, die zu Lasten des Staatsbudgets gehen, mit profitieren. Ein Geld, das sich die Wirtschaft nun aber nicht selbst über zinsbelastete Kredite besorgt, sondern dies dem Staat tun lässt.

 

2.     Der Staat verschuldet sich bei der Bankenwirtschaft Geld, um mit diesem Geld die Gewinne der Produktionswirtschaft und die Zinserträge der Bankenwirtschaft zu subventionieren.

 

Natürlich sollte man meinen, dass sich der Staat bemüht, dieses Defizit wegen der Finanzierung über verzinsliche Kredite möglichst gering zu halten. Doch war das nicht immer so, wie der berühmt-berüchtigten Sager eines früheren österreichischen Bundeskanzler zeigt.

 

 

 

Anmerkungen

 

11.   H. Ch. Binswanger, Geld & Natur, S. 102ff 

 

12.   Binswanger zitiert den Schweizer Wirtschaftsjournalisten Werner Vontobel.  Der sagt,  bei der Diskussion mit Mainstream-Ökonomen  über wirtschaftliches Wachstum ist eines immer sofort unbestritten: Wachstum muß sein, und nicht zuwenig, weil einem sonst die anderen überholen, wir Marktanteile und Arbeitsplätze verlieren,  aber auch nicht zuviel, weil sonst  die Wirtschaft überhitzt, national dann die Wirtschaft bremsen muß. Dieses Credo kommt so schnell, dass man als kritischer Zuhörer den Verdacht schöpft, dieses .....  kommt unter Umgehung der Großhirnrinde direkt aus dem Stammhirn bzw. aus den Nervenzellen des Rückenmarks.

 

13.   Relative Preise sind Preise, die sich nicht in Geld ausdrücken, sondern im Wert von Waren untereinander, also etwa ein Tisch in soundso viel kg Brot.  Erst später, wenn alles schon gelaufen ist, wird das in Geld ausgedrückt. Deshalb ist Geld „neutral“.