Date: Thu, 01 Feb 2001 01:25:46 +0100
To: NewMoney Liste <newmoney@rzmail.uni-erlangen.de>

Dorfner wrote:
>
> Etliche Veröffentlichungen zeiegn die selbe Kritik an unserer
> Geldordnung - und sie zielen mit ihren Reformvorschlägen in so
> ziemlich die gleiche Richtung. Creutz hat sie aber bereits wieder mehr
> oder minder abgelehnt. Ich habe versucht darzulegen, warum.

Hallo ebenfalls,

im großen und ganzen stimme ich dem zu, wobei ich die Frage ob eine
Umlaufsicherung bzw. negativer Zins auf Geld nicht auch innerhalb des
Kreditgeldsystems eine positive Wirkung haben könnte hier einmal
ausklammere.

Ein wichtiger Punkt scheint mir aber in deiner Analyse zu fehlen. Es
darf nämlich nicht vergessen werden, dass die Zinsen und Kapitalrenditen
die Problematik der Schuldenkrise ganz erheblich verstärken. Und in
diesem Punkt muss ich Herrn Creutz recht geben, wenngleich ich den
Zusammenhang nicht für zwangsläufig halte: Würden nämlich rein
theoretisch alle Kapitaleinkommen (also inkl. Zinsen) von denen, die
davon profitieren, komplett für Konsum ausgegeben werden, dann würden
deren Guthaben bzw. Vermögen auch nicht permanent ansteigen.

Wenn man aber von der realistischeren Annahme ausgeht, dass die Zinsen
& Renditen zum allergrößten Teil den schon bestehenden Guthaben
zugebucht werden, tendenziell also *nicht* zum Konsum dienen, sondern
im Gegenteil "gespart" werden, d.h. zur Vermehrung des Vermögens
dienen, dann folgt daraus, dass dieses Geld eben gerade nicht für den
Kauf von Waren zur Verfügung steht. Die für ein genügend hohes Wachstum
erforderliche Geldvermehrung bedarf also einer Nettoneuverschuldung,
die um diesen "gesparten" Betrag höher ausfällt, als die reine
Geldvermehrung. Dabei ist es vollkommen irrelevant, ob nun in Aktien,
in Sparbüchern oder in sonstigen Wertpapieren "gespart" wird: Jede
solche Geldanlage ist als illiquides oder zumindest wenig liquides
Guthaben zu werten, das entsprechend wenig zur Gesamtnachfrage
beiträgt.

Man kann es auch so formulieren: Der Zuwachs der Gesamtbilanz von
Privathaushalten, Staat und Unternehmen (Nichtbanken) ist auf der
Habenseite unterteilt in liquide und illiquide Aktiva. Aber nur eine
Vermehrung der liquiden Aktiva (Geld) führt zu höherer Nachfrage, die
den Unternehmen ermöglicht, ihre Produkte einem höheren Gesamtpreis zu
verkaufen, als sie vorher insgesamt an Kosten hatten.

Eine Zunahme der illiquiden Aktiva (Sparen) hat diesen Effekt nicht.
Soll also die für das notwendige Wachstum, d.h. für die notwendigen
positiven Durchschittsgewinne der Unternehmen, erforderliche Vermehrung
der Ausgaben trotzdem erfolgen, dann muss die Nettoneuverschuldung
nicht nur um den Betrag dieses Wirtschaftswachstums steigen, sondern
eben darüber hinaus auch noch die Geldanlage also das Wachstum der
Geldvermögen alimentieren.

Kurzum: Nettoneuverschuldung = BIP-Wachstum + Sparquote

Unter Berücksichtigung dieser Dinge stimmen auch endlich die Zahlen
wieder: Denn die Rate, mit der die Verschuldung zunimmt, ist ja - das
geht aus den von Creutz und auch von Mergreiter angeführten und bei der
Buba nachzulesenden Bilanzen eindeutig hervor - *erheblich größer*, als
das Wachstum des BIP, so dass die Geldvermehrung (Geld im Sinne von M1)
alleine dies nicht erklären kann. Ebenso ist sie aber auch erheblich
größer, als die Kapitaleinkommen, so dass auch dies als Erklärung nicht
ausreicht. In der Summe aber, nämlich Kapitaleinkommen plus
BIP-Wachstum, kommt die Sache dann schon besser hin, wobei die
Kapitaleinkommen natürlich nur eine ganz grobe erste Näherung der
gesparten Einkommen sein können.

Ben
 

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Date: Thu, 01 Feb 2001 03:55:05 +0100
To: NewMoney Liste <newmoney@rzmail.uni-erlangen.de>
 

Lieber Ernst Dorfner,

du hast geschrieben:

> Brauchen wir nun eine Umlaufsicherung? Creutz selbst schreibt: Aufgrund
> dieser sich wiederholenden revolvierenden Einsätze des Tauschmittels
> Geld, übersteigen die sich daraus ergebenden Tausch- und
> Überlassungsvorgänge die Geldmenge bei weitem und in ihren Additionen
> immer mehr. Das trifft selbst auf die jährliche Wertschöpfung zu. Denn
> hinter dieser Wertschöpfungsgröße steht ein Vielfaches derselben als
> Zahlungsvorgängen. Das heißt doch, daß das Geld flott umläuft. Oder?

Die Argumentation von Creutz ist widersprüchlich, das stimmt. Das heißt
aber noch lange nicht, dass eine Umlaufgebühr sinnlos ist oder nicht
gebraucht würde.

Zunächst: Niemand der noch halbwegs bei trost ist kann die
Umlaufsicherung so verstehen, dass sie den Umlauf des Geldes über das
derzeitige Maß hinaus steigern soll. Hierbei beziehe ich mich allerdings
auf die tendenziell inflationären Wirtschaften Nordamerikas und Europas,
nicht aber auf das deflationäre Japan, wo die Dinge denn doch erheblich
anders liegen (was nicht heißen soll, dass es bei uns nicht auch dazu
kommen kann).

Spätestens in der Deflation, besser aber schon in der Rezession, ist es
tatsächlich nützlich und notwendig den Geldumlauf, d.h. die Ausgaben von
Unternehmen und Haushalten zu steigern. Und da kann eine
Umlaufsicherung, was ja nichts anderes bedeutet, als ein negativer
nomineller Zins auf Geld, auch in einer Kreditwirtschaft eine Menge
helfen. Die Möglichkeit einer Liquiditätsfalle, in der sich die
japanische Wirtschaft nun seit einigen Jahren befindet, ist eine
prinzipbedingte Konsequenz aus der Tatsache, dass Geld - als
Vermögensgegenstand betrachtet - im Normalfall die Untergrenze des
nominalen (kurzfristigen) Zinssatzes auf Null festlegt, so dass bei
Deflation der Realzins eben trotz NB-Zinsen von Null (in Japan 0.25%)
immer noch zu hoch sein kann, als dass - bei ohnehin schlechten
Erwartungen - noch Nettoinvestitionen getätigt würden.

Siehe hierzu die z.T. auch für den Laien gut verständlichen Artikel von
Paul Krugman zur Situation in Japan und auch zur Gefahr einer weltweiten
Deflation.

Die eigentliche Idee bei der Umlaufsicherung ist doch aber eigentlich
genau die: Dass nämlich dem Zins (real, wohlgemerkt) keine
prinzipbedingte untere Grenze mehr gesetzt sein soll. Das jedenfalls war
die Idee Gesell's und ich denke auch vieler der heutigen Geldreformer.
Und nach dem was ich in meinem anderen Beitrag ("Geldvermehrung,
Neuverschuldung und Sparquote") geschrieben habe, würde ein Absinken des
Zinses auch weniger Neuverschuldung nötig machen, je nach dem wie stark
die Auswirkung auf das Sparverhalten ist.

Die Frage ist nun u.a. ob die Zinsen tatsächlich eine natürliche Tendenz
zum sinken haben, je weiter sich die Wirtschaft entwickelt.

Das Beispiel Japan und die drohende Deflationsgefahr weltweit, sowie die
große Depression Ende der 20er Jahre deuten m.E. darauf hin, dass sich
die meisten Volkswirtschaften nach einer mehr oder weniger langen Phase
relativ ungebremsten Wachstums mit anfangs hohen Kapitalgewinnen
irgendwann in eine Richtung bewegen, in der die Kapitaleinkommen
schrumpfen und die Löhne entsprechend mehr steigen.

Der Höhepunkt dieser Entwicklung scheint dabei allerdings dadurch
gekennzeichnet zu sein, dass die Unternehmen alle möglichen Tricks
anwenden, um den Shareholdern Profite vorzugaukeln (oder für die Zukunft
zu versprechen), die sie in Wahrheit gar nicht gemacht haben (bzw.
erwarten können), wodurch sie die Aktienkurse hoch halten und damit ihre
Finanzierung (kurzfristig) "sichern" können.

In den USA ist die z.Zt. beliebteste Methode die Vergabe von
Optionsscheinen an die Angestellten. Der Economist schreibt in der
neuesten Ausgabe, dass Microsoft (zugegeben sicher ein Extremfall), bei
korrekter Bilanzierung der Kosten durch Stockoptions im Jahr 1998 statt
4.8 Mrd $ Gewinn, 17.8 Mrd $ Verluste hätte schreiben müssen.

In die gleiche Richtung geht die Kreditwirtschaft, wo immer mehr Risiken
bei der Kreditvergabe eingegangen werden, um die Gewinne kurzfristig
möglichst hoch erscheinen zu lassen. Siehe hierzu ebenfalls die neueste
Ausgabe des Economist, der diese Problematik sogar zum Titelthema
gemacht hat.

Irgendwann kapieren die Shareholder natürlich was abgeht und dann ist
feierabend. Kommen sie frühzeitig dahinter, dann gibt es nur eine
Rezession. Kommen sie später dahinter, dann gibt es einen Crash mit
anschließender drastischer Kredit- und Liquiditätsverknappung und darauf
folgt dann die deflationäre Krise, die sich ziemlich lange hinziehen
kann (bis wieder genügend Kapital vernichtet ist).

So ein Zyklus kann sich prinzipiell auch mehrmals hintereinander
abspielen, ohne dass die Katastrophe richtig ausbricht. Kommt nun aber
jedes mal ein höherer Schuldenberg dazu, dann wird die Sache auch
jedesmal brenzliger. Ich frage mich inzwischen nur noch ob es das
nächste mal der letzte Krach wird, oder ob es noch mal "gut" geht (soll
heißen: "nur" eine Wirtschaftskrise, kein Weltkrieg o.ä.).

Was mir bisher noch niemand vernünftig erklären konnte (außer Keynes
natürlich):

Warum sinken die Zinsen und Renditen nicht einfach anständig und
gleichmäßig ab, warum müssen Banken wie Industrieunternehmen diese
peinliche Show mit den Pseudoprofiten abziehen, die unweigerlich in der
Katastrophe endet???

Ben