Ernst Dorfner
Mehr Gegenseitigkeit statt mehr Wettbewerb
Neue Ziele der gesellschaftlichen Strukturpolitik
Teil A.
1.
MATINA HÄMMERLI beschäftigt sich in ihrem Referat mit Alternativen
Initiativen im Geldbereich - also über das, was als Talente-System,
LETS, Tauschring, Zeittauschbörse bekannt ist. Dabei geht es nach
Meinung der INWO darum, ein Defizit in unserer Geldordnung ‘von
unten her’ zu überwinden. Dieses sieht sie im Liquiditätsvorteil
des Geldes, welcher es dem Besitzer von nicht zum Konsum benötigtem
Geld ermöglicht, den Zins zu erzwingen.
So zahlreich nun aber auch diese Initiativen sind, so bleiben sie doch
überall in ihrer Aktivitätsgröße und -radius sehr
beschränkt.
Warum?
2.
Die Initiativen verweisen gerne auf den Zinsanteil in den Preisen.
Sie berufen sich dabei auf Ziffern von HELMUT CREUTZ: Anteil der Kapitalverzinsung
an der Müllabfuhr: 12 Prozent; am Trinkwasserpreis: 38 Prozent, an
der Kostenmiete im sozialen Wohnungsbau: 77 Prozent.
Dabei sollte auffallen, daß es sich bei obigen Waren und Leistungen
um solche handelt, die ohne mittel- bis langfristig abschreibbare Investitionen
gar nicht angeboten werden könnten.
Vergleichen wir damit das, was die Mitglieder von Tauschringen ihn
ihren Marktzeitung ankündigen, dann sehen wir, daß es sich dabei
nahezu durchgängig um Angebote und Nachfragen von und nach spontanen
persönlichen Dienstleistungen, persönlichen Handreichungen,
handelt. Was sich jedoch nicht findet, sind etwa Angebote von Wohnungen,
oder allgemeiner, von Waren und Leistungen, die aus Investitionen hervorgehen.
Teil B.
3.
Hier muß nun klar werden, daß der Herstellung dieser Waren
und Leistungen vorauseilend die Investition von eigenem und fremdem
Geld erfordert. So investiert der Fabrikant in Einrichtungen, Vormaterialien,
der Kaufmann in Verkaufs- und Lagerräume sowie in auf Lager gelegte
Waren.
All das Angeschaffte - das Realvermögen - bildet sich auf der Aktiv- oder Vermögensseite der Unternehmensbilanz ab, während das Geld, das investiert wurde, sich auf der Passiv- oder Forderungsseite als Eigen - und Fremdkapital findet.
Verkürzt können wir das, was auf der Forderungsseite steht, als Schulden des Unternehmens bezeichnen. Diese Schulden beruhen zwar auf in ihrer Konsequenz unterschiedlichen Verträgen. Aber wie auch immer: Bei Abschluß dieser Verträge wird Geld hingegeben, solches aberspäter auch zurückgefordert. Ob Eigenmittel, ob Fremdmittel. Die Erfüllung der Forderungen geschieht in Geld.
Geld wird damit beim Kaufvorgang nicht einfach als Tauschmittel hingegeben - und geht dann bis zum nächsten Kauf in Wartestellung. Geld ist vor allem Schuldbegehungs- und Schuldtilgungsmittel. Die Schulden bestehen in der Zeit zwischen Begehung und Tilgung als genau definierte Menge.
4.
Auch die Lohnarbeit wird von Unternehmen vorfinanziert. Da also gewissermaßen
die Lohnarbeiter auf Rechnung der Unternehmen kaufen, verkaufen
und kaufen letztlich nur Unternehmen.
Das hat insofern große Bedeutung, weil damit die Lohnarbeiter jene Freiheit erlangen, die in dem Wort "Stadtluft macht frei" zum Ausdruck kommt. Obwohl Lohnarbeiter schon vor Fertigstellung und Verkauf der Ware konsumieren können, sind sie niemanden etwas schuldig. Verschuldet haben sich an ihrer Stelle die Unternehmen.
Diese Freiheit wird aber auf der anderen Seite mit der Abhängigkeit von den Unternehmen erkauft.
5.
Diese Freiheit beinhaltet auch die Möglichkeit der Thesaurierung
(Hortung) von Notenbankgeld bei den Nichtschuldnern.
Die Rückführung dieses Geldes zu den Schuldnern, den Unternehmen,
ist deshalb eine notwendige, jedoch keine hinreichende Bedingung
für ein Funktionieren der Geldwirtschaft, wie noch gezeigt wird.
Unternehmen horten normalerweise nicht, sondern reduzieren bei Liquiditätsüberschüssen ihre Fremdmittel, um sich die Zinszahlungen zu ersparen. Weiters wird vermittels Finanztransaktionen laufend Fremdkapital in Eigenkapital verwandelt, d.h. Geld nicht gehortet, sondern vernichtet. Der nötige Anreiz wird hierbei durch den steigenden Shareholder-value erzeugt.
6.
Damit richten wir unseren Blick auf die Unternehmen: Sie verschulden
sich heute durch Kauf und entschulden sich morgen
durch Verkauf. Dabei werden die ‘alten’ Schulden der Verkäufer
durch ‘neue’ Schulden der Käufer ersetzt.
Damit aber ensteht stets ein Zeitvorgriff, der die Zukunft im Sinne der Vergangenheit vorherbestimmt. Geldschulden aus der Vergangenheit bedingen, daß in der Gegenwart wieder Geldschulden gemacht werden müssen, die in Zukunft wieder nur mit Geldschulden getilgt werden können.
Der industrielle Anbieter von Waren und Leistungen muß beim Verkauf seiner Waren Geld verlangen. Er muß dies tun, weil der Anbieter von Vorprodukten für die Tilgung seiner auf Geld lautenden Schulden eben Geld erwartet. Deshalb muß er als Käufer auch Schulden in Geld eingehen. Diese Schulden sind aber wieder nur in Geld abzulösen - und nicht in Talenten!
Diese zeitliche Verschränkung unserer Wirtschaft bewirkt somit,
daß ein verinseltes Aussteigen aus diesem System sehr schwierig
und nur in sehr speziellen Segmenten möglich ist.
7.
Die Schulden von gestern werden mit den Schulden von heute getilgt.
Das aber heißt auch, daß gesamtvolkswirtschaftlich die Menge der Verschuldung von heute mindestens so groß wie die Menge von gestern sein muß.
Da es dabei um etwas genau abzählbares geht, nämlich um eine bestimmte Menge ‘Geld’, gibt es einzelwirtschaftlich um eben dieses nachfragende Geld, das aus den neuen Schulden entspringt, einen Wettbewerb: Einen Wettbewerb um eine Menge m (1 + x), wobei x > 0 sein muß, um rechtlich das so vereinbarte wirtschaftliche Überleben zu sichern
Ist x < 0, kann die Verschuldung nur zum Nachteil des Eigenkapitals und damit der Verschuldungsfähigkeit aufgelöst werden.
8.
Gesamtvolkswirtschaftlich führt dies zu einem Nullsummenspiel,
wenn die zeitlich folgende Verschuldungsmenge gegenüber
der vorhergehenden nicht höher ist Nur wenn sie höher
ist, entsteht jener Sicherheitspolster, der möglichst vielen
Unternehmen ermöglicht, zumindest das wieder einzunehmen, was sie
vorher ausgegeben haben .
Wirtschaften heißt ein Risiko mit der Zeit eingehen: "Kann ich die gestern eingegangenen Schuldenmenge heute auch tilgen?" Dieser führt dazu, daß heute jeder möglichst viel Geld hereinbekommen will, um seine Schulden sicher tilgen zu können.
9.
Dieses Wechselspiel von Ver- und Entschuldung ist idealtypisch für
die Rechtsperson ‘Unternehmen’, die alles, was sie kauft, auch wieder
verkaufen will. Sie bringt durch Verschuldung (Wechselrediskontierung)
Geld in Umlauf und zieht es durch Entschuldung wieder aus den Umlauf
Auch das Geld, das der Staat für die Finanzierung seiner Aufgaben benötigt, bringen Unternehmer in Umlauf.
Dieses Geld wird heute vorwiegend durch Steuern und Abgaben auf die menschliche Arbeitskraft hereingebracht.
Teil C
10.
Diese Art der Finanzierung des Staates führt dazu, daß -
umgerechnet auf die Stunde - die Arbeitskosten und die Netto-Arbeitseinkommen
immer weiter auseinanderklaffen. Unabhängig davon, ob hier etwas
vorfinanziert wird, oder ob die geleistete Arbeit des einen unmittelbar
zeitgleich mit der wertgleichen Arbeit des anderen erfolgt und nur ausgetauscht,
aber in Geld bezahlt wird. Beide zahlen sich gegenseitig gewissermaßen
einen Hunderter, doch müssen beide die darauf anfallenden Steuern
und Abgaben zahlen.
Ein Beispiel: Zwei Arbeiter erhalten jeweils rd. 17.000 öS pro Monat auf die Hand. Kaufen sie sich ihre Leistung gegenseitig ab, so ergeben sich unter Einrechnung der MWSt Ankaufkosten von rd. 39.000 öS. D.h. jeder muß 2,3 Stunden arbeiten, um sich eine Arbeitsstunde des jeweils anderen leisten zu können. Unter Einrechnung des 13. und 14 Gehaltes sowie der bezahlten Nicht-Arbeitszeiten wird dieses Verhältnis noch weit ungünstiger.
11.
Allgemein ist festzustellen, daß reine Dienstleistungen
immer teurer, während Neuprodukte immer preisgünstiger
werden. D.h. das, wo keine oder nur sehr kurzfristige Vorfinanzierungen
dahinterstehen, wird immer teurer, das aber, wo hohe und mittelfristige
Investitionen notwendig sind, wird immer preisgünstiger. Viele Dienstleistungen
werden erst mit dahinterstehenden Investitionen leistbar, weil solcherart
die damit eingesetzte menschliche Arbeit rationalisiert, d.h. auf möglichst
viele Leistungskonsumenten aufgeteilt wird. Das aber heißt, daß
die Konsumenten sich nur das leisten können, wo Vorfinanzierung
notwendig ist und damit Zinsen anfallen, und nicht das, wo es kaum
Vorfinanzierung gibt und damit kaum Zinsen anfallen.
12.
Wie schon unter Punkt 2 gesagt, werden von den Tauschring- Mitgliedern
fast durchgängig Leistungen angeboten, denen keine Investitionen zugrunde
liegen, oder wo sie als Abschreibungen nicht berücksichtigt werden,
weil diese ‘Investitionen’ als Konsumaugaben des Staates oder der Familien
getätigt wurden. Da vorauseilend nicht investiert wurde, fallen
auch keine Zinsen an.
Dort also, wo keine unternehmerischen Bilanzen erstellt werden, wo also ‘nur’ der gegenseitige, der zwischenmenschliche Austausch von Wissen und Können als wirtschaftliches Handeln gesehen wird, wo sich etwa die reine Handreichung beim Schreiben eines Textes gegen die reine Handreichung beim Pflegen des Gartens tauscht, dort finden sich auch die Inseln, wo ein Ausstieg aus dem Geldsystem möglich scheint.
Teil D
13.
Aus diesen Einsichten gilt es das Wesens der Geldwirtschaft zu erkennen,
die gekennzeichnet ist
14.
Mit dem Instrument ‘Geld’ kann der Mensch ökologische und soziale
Begrenzungen niederreissen. Diese Entgrenzung macht den Wohlfahrtsstaat
möglich, aber auch notwendig. Damit sind wir aber von diesem Geldsystem
in doppelter Weise abhängig. Einmal weil Geld die bisherigen sozialen
Strukturen in all ihrer Ambivalenz immer stärker auflöst, zum
zweiten aber auch deshalb, weil dieser Wohlfahrtsstaat nur über Steuern
und Abgaben, die derzeit vornehmlich auf der Arbeit lasten,
zu dem für seine Finanzierung nötigen Geld kommt.
15.
Wenn nun die reinen Dienstleistungen, wie sie in Tauschringen angeboten
werden, heute immer weniger ausgetauscht werden, so liegt dies offensichtlich
daran, daß Arbeitskosten und Arbeitseinkommen nicht mehr in
einer akzeptablen Relation liegen, und nicht so sehr an
einem Systemfehler unserer Geldordnung,
Die einseitige Belastung der menschlichen Arbeit durch Steuern und Abgaben wird heute heftig diskutiert. Der als ‘ökosoziale Steuerreform’ apostrophierte Vorschlag ist jedoch allein nicht geeignet, sowohl die ökologische als auch die soziale Frage zu lösen. Der Verbrauch an Natur und Umwelt darf nicht ‘weggesteuert’ werden, solange er die Steuerbasis für die Finanzierung des Wohlfahrtsstaates mit abgibt.
Soll dieser aber ‘weggesteuert’ werden, ist für den Sozialbereich eine andere Lösung zu suchen. Dabei ist zu bedenken, daß es gerade in Sozialbereich vielfach nicht um gnadenlose Rationalisierung, um Zeit-Effektivität geht, sondern um gegenseitige Zuwendung, Geduld, Zeit haben. Also um Gegenseitigkeit statt Wettbewerb.
16.
Es geht bei den Tauschringen nicht darum, ‘böses Geld’ durch ein
‘gutes Geld’ zu ersetzen. Auch Geld ist ambivalent. Für bestimmte
Bereiche ist seine Logik nicht ersetzbar.
Es geht vielmehr um den Aufbau von einer zur Geldstruktur zusätzlichen Struktur, die sich für große Bereiche des Austausches von gegenseitiger Hilfe eignet, wie sie in weiten Bereichen des sozialen Zusammenlebens anfällt.
Tauschringe, Zeittauschklubs u. ähnliches mehr mögen hierfür einen ersten Ansatz bieten. Da diese Ringe aber gerade dem Steuern- und Abgabenregime - und nicht dem Zinssystem -auszuweichen versuchen, geraten sie rasch in den Geruch der Schwarzarbeit. Deshalb ist von staatlicher Seite her eine grundsätzliche Entscheidung zu treffen, die erlaubt, Sozialarbeit auch in dieser Form zu organisieren.
Es stellt sich die strukturpolitische Frage, ob nicht derartiges organisiert werden muß, um eine ökosoziale Lösung unserer Wirtschaft zu erreichen.
17.
Mit der Verschuldung in Geld, also mit Krediten, wird auf bereits vorhandene
materielle Ressourcen zurückgegriffen. Es bedarf deshalb einer Steuerung,
um eine übertriebene Ausweitung der nachfragenden Geldmenge - und
damit von Inflation - zu verhindern. Diese Steuerung erfolgt über
die Mindestreservenpolitik und den Notenbankzinssatz. Über
letzteren bestimmt sich auch der Einlagenzinssatz und damit die Höhe
der privaten Zinserträge.
Um dem nun verteilungspolitisch entgegenzuwirken, ist es vorstellbar, daß der Notenbankzinssatz auf etwa Null abgesenkt wird und die Steuerung der Kreditnachfrage und damit der Geldmenge über eine variable Kreditabgabe erfolgt, deren Festlegung der Notenbank obliegt.
Darüberhinaus könnte es notwendig werden, auch eine Abgabe
auf Bargeld zur Vermeidung dessen Hortung eingeführt werden. Dies
insbesondere dann, wenn sich eine deflationäre Tendenz einstellen
sollte.