Als Beitrag für Eure sehr grundsätzliche Diskussion über die Freiheit des Menschen, die freie Assoziation von Menschen, arbeitslose Einkommen usw, usw, möchte ich Euch meinen Beitrag "Mehr Gegenseitigkeit statt mehr Wettbewerb" übermitteln. Ich habe ihn vor einiger Zeit für den INWO-Kongress in Wien verfaßt, wo ich dazu eineArbeitsgruppe leiten sollte. Im Tagungsband ist er  (leider) nicht aufgenommen worden.
 
Ich möchte bezüglich obiger Punkte insbesondere auf den Teil D verweisen.  Hinweisen möchte ich auch auf die Punkte 0.01, 1.03 und 2.01 bis 2.04 in meinem Beitrag "Vom Warenmarkt zum Finanzmarkt", den Ihr auch unter
http://www.dieterb.de/newmoney/texte/ finden könnt.
 

Ernst Dorfner

Mehr Gegenseitigkeit statt mehr Wettbewerb

Neue Ziele der gesellschaftlichen Strukturpolitik

Teil A.

1.
MATINA HÄMMERLI beschäftigt sich in ihrem Referat mit Alternativen Initiativen im Geldbereich - also über das, was als Talente-System, LETS, Tauschring, Zeittauschbörse bekannt ist. Dabei geht es nach Meinung der INWO darum, ein Defizit in unserer Geldordnung ‘von unten her’ zu überwinden. Dieses sieht sie im Liquiditätsvorteil des Geldes, welcher es dem Besitzer von nicht zum Konsum benötigtem Geld ermöglicht, den Zins zu erzwingen.
So zahlreich nun aber auch diese Initiativen sind, so bleiben sie doch überall in ihrer Aktivitätsgröße und -radius sehr beschränkt.
Warum?

2.
Die Initiativen verweisen gerne auf den Zinsanteil in den Preisen. Sie berufen sich dabei auf Ziffern von HELMUT CREUTZ: Anteil der Kapitalverzinsung an der Müllabfuhr: 12 Prozent; am Trinkwasserpreis: 38 Prozent, an der Kostenmiete im sozialen Wohnungsbau: 77 Prozent.
Dabei sollte auffallen, daß es sich bei obigen Waren und Leistungen um solche handelt, die ohne mittel- bis langfristig abschreibbare Investitionen gar nicht angeboten werden könnten.
Vergleichen wir damit das, was die Mitglieder von Tauschringen ihn ihren Marktzeitung ankündigen, dann sehen wir, daß es sich dabei nahezu durchgängig um Angebote und Nachfragen von und nach spontanen persönlichen Dienstleistungen, persönlichen Handreichungen, handelt. Was sich jedoch nicht findet, sind etwa Angebote von Wohnungen, oder allgemeiner, von Waren und Leistungen, die aus Investitionen hervorgehen.

Teil B.

3.
Hier muß nun klar werden, daß der Herstellung dieser Waren und Leistungen vorauseilend die Investition von eigenem und fremdem Geld erfordert. So investiert der Fabrikant in Einrichtungen, Vormaterialien, der Kaufmann in Verkaufs- und Lagerräume sowie in auf Lager gelegte Waren.

All das Angeschaffte - das Realvermögen - bildet sich auf der Aktiv- oder Vermögensseite der Unternehmensbilanz ab, während das Geld, das investiert wurde, sich auf der Passiv- oder Forderungsseite als Eigen - und Fremdkapital findet.

Verkürzt können wir das, was auf der Forderungsseite steht, als Schulden des Unternehmens bezeichnen. Diese Schulden beruhen zwar auf in ihrer Konsequenz unterschiedlichen Verträgen. Aber wie auch immer: Bei Abschluß dieser Verträge wird Geld hingegeben, solches aberspäter auch zurückgefordert. Ob Eigenmittel, ob Fremdmittel. Die Erfüllung der Forderungen geschieht in Geld.

Geld wird damit beim Kaufvorgang nicht einfach als Tauschmittel hingegeben - und geht dann bis zum nächsten Kauf in Wartestellung. Geld ist vor allem Schuldbegehungs- und Schuldtilgungsmittel. Die Schulden bestehen in der Zeit zwischen Begehung und Tilgung als genau definierte Menge.

4.
Auch die Lohnarbeit wird von Unternehmen vorfinanziert. Da also gewissermaßen die Lohnarbeiter auf Rechnung der Unternehmen kaufen, verkaufen und kaufen letztlich nur Unternehmen.

Das hat insofern große Bedeutung, weil damit die Lohnarbeiter jene Freiheit erlangen, die in dem Wort "Stadtluft macht frei" zum Ausdruck kommt. Obwohl Lohnarbeiter schon vor Fertigstellung und Verkauf der Ware konsumieren können, sind sie niemanden etwas schuldig. Verschuldet haben sich an ihrer Stelle die Unternehmen.

Diese Freiheit wird aber auf der anderen Seite mit der Abhängigkeit von den Unternehmen erkauft.

5.
Diese Freiheit beinhaltet auch die Möglichkeit der Thesaurierung (Hortung) von Notenbankgeld bei den Nichtschuldnern. Die Rückführung dieses Geldes zu den Schuldnern, den Unternehmen, ist deshalb eine notwendige, jedoch keine hinreichende Bedingung für ein Funktionieren der Geldwirtschaft, wie noch gezeigt wird.

Unternehmen horten normalerweise nicht, sondern reduzieren bei Liquiditätsüberschüssen ihre Fremdmittel, um sich die Zinszahlungen zu ersparen. Weiters wird vermittels Finanztransaktionen laufend Fremdkapital in Eigenkapital verwandelt, d.h. Geld nicht gehortet, sondern vernichtet. Der nötige Anreiz wird hierbei durch den steigenden Shareholder-value erzeugt.

6.
Damit richten wir unseren Blick auf die Unternehmen: Sie verschulden sich heute durch Kauf und entschulden sich morgen durch Verkauf. Dabei werden die ‘alten’ Schulden der Verkäufer durch ‘neue’ Schulden der Käufer ersetzt.

Damit aber ensteht stets ein Zeitvorgriff, der die Zukunft im Sinne der Vergangenheit vorherbestimmt. Geldschulden aus der Vergangenheit bedingen, daß in der Gegenwart wieder Geldschulden gemacht werden müssen, die in Zukunft wieder nur mit Geldschulden getilgt werden können.

Der industrielle Anbieter von Waren und Leistungen muß beim Verkauf seiner Waren Geld verlangen. Er muß dies tun, weil der Anbieter von Vorprodukten für die Tilgung seiner auf Geld lautenden Schulden eben Geld erwartet. Deshalb muß er als Käufer auch Schulden in Geld eingehen. Diese Schulden sind aber wieder nur in Geld abzulösen - und nicht in Talenten!

Diese zeitliche Verschränkung unserer Wirtschaft bewirkt somit, daß ein verinseltes Aussteigen aus diesem System sehr schwierig und nur in sehr speziellen Segmenten möglich ist.
 
 

7.
Die Schulden von gestern werden mit den Schulden von heute getilgt.

Das aber heißt auch, daß gesamtvolkswirtschaftlich die Menge der Verschuldung von heute mindestens so groß wie die Menge von gestern sein muß.

Da es dabei um etwas genau abzählbares geht, nämlich um eine bestimmte Menge ‘Geld’, gibt es einzelwirtschaftlich um eben dieses nachfragende Geld, das aus den neuen Schulden entspringt, einen Wettbewerb: Einen Wettbewerb um eine Menge m (1 + x), wobei x > 0 sein muß, um rechtlich das so vereinbarte wirtschaftliche Überleben zu sichern

Ist x < 0, kann die Verschuldung nur zum Nachteil des Eigenkapitals und damit der Verschuldungsfähigkeit aufgelöst werden.

8.
Gesamtvolkswirtschaftlich führt dies zu einem Nullsummenspiel, wenn die zeitlich folgende Verschuldungsmenge gegenüber der vorhergehenden nicht höher ist Nur wenn sie höher ist, entsteht jener Sicherheitspolster, der möglichst vielen Unternehmen ermöglicht, zumindest das wieder einzunehmen, was sie vorher ausgegeben haben .

Wirtschaften heißt ein Risiko mit der Zeit eingehen: "Kann ich die gestern eingegangenen Schuldenmenge heute auch tilgen?" Dieser führt dazu, daß heute jeder möglichst viel Geld hereinbekommen will, um seine Schulden sicher tilgen zu können.

9.
Dieses Wechselspiel von Ver- und Entschuldung ist idealtypisch für die Rechtsperson ‘Unternehmen’, die alles, was sie kauft, auch wieder verkaufen will. Sie bringt durch Verschuldung (Wechselrediskontierung) Geld in Umlauf und zieht es durch Entschuldung wieder aus den Umlauf

Auch das Geld, das der Staat für die Finanzierung seiner Aufgaben benötigt, bringen Unternehmer in Umlauf.

Dieses Geld wird heute vorwiegend durch Steuern und Abgaben auf die menschliche Arbeitskraft hereingebracht.

Teil C

10.
Diese Art der Finanzierung des Staates führt dazu, daß - umgerechnet auf die Stunde - die Arbeitskosten und die Netto-Arbeitseinkommen immer weiter auseinanderklaffen. Unabhängig davon, ob hier etwas vorfinanziert wird, oder ob die geleistete Arbeit des einen unmittelbar zeitgleich mit der wertgleichen Arbeit des anderen erfolgt und nur ausgetauscht, aber in Geld bezahlt wird. Beide zahlen sich gegenseitig gewissermaßen einen Hunderter, doch müssen beide die darauf anfallenden Steuern und Abgaben zahlen.

Ein Beispiel: Zwei Arbeiter erhalten jeweils rd. 17.000 öS pro Monat auf die Hand. Kaufen sie sich ihre Leistung gegenseitig ab, so ergeben sich unter Einrechnung der MWSt Ankaufkosten von rd. 39.000 öS. D.h. jeder muß 2,3 Stunden arbeiten, um sich eine Arbeitsstunde des jeweils anderen leisten zu können. Unter Einrechnung des 13. und 14 Gehaltes sowie der bezahlten Nicht-Arbeitszeiten wird dieses Verhältnis noch weit ungünstiger.

11.
Allgemein ist festzustellen, daß reine Dienstleistungen immer teurer, während Neuprodukte immer preisgünstiger werden. D.h. das, wo keine oder nur sehr kurzfristige Vorfinanzierungen dahinterstehen, wird immer teurer, das aber, wo hohe und mittelfristige Investitionen notwendig sind, wird immer preisgünstiger. Viele Dienstleistungen werden erst mit dahinterstehenden Investitionen leistbar, weil solcherart die damit eingesetzte menschliche Arbeit rationalisiert, d.h. auf möglichst viele Leistungskonsumenten aufgeteilt wird. Das aber heißt, daß die Konsumenten sich nur das leisten können, wo Vorfinanzierung notwendig ist und damit Zinsen anfallen, und nicht das, wo es kaum Vorfinanzierung gibt und damit kaum Zinsen anfallen.

12.
Wie schon unter Punkt 2 gesagt, werden von den Tauschring- Mitgliedern fast durchgängig Leistungen angeboten, denen keine Investitionen zugrunde liegen, oder wo sie als Abschreibungen nicht berücksichtigt werden, weil diese ‘Investitionen’ als Konsumaugaben des Staates oder der Familien getätigt wurden. Da vorauseilend nicht investiert wurde, fallen auch keine Zinsen an.

Dort also, wo keine unternehmerischen Bilanzen erstellt werden, wo also ‘nur’ der gegenseitige, der zwischenmenschliche Austausch von Wissen und Können als wirtschaftliches Handeln gesehen wird, wo sich etwa die reine Handreichung beim Schreiben eines Textes gegen die reine Handreichung beim Pflegen des Gartens tauscht, dort finden sich auch die Inseln, wo ein Ausstieg aus dem Geldsystem möglich scheint.

Teil D

13.
Aus diesen Einsichten gilt es das Wesens der Geldwirtschaft zu erkennen, die gekennzeichnet ist

Geld erlöst vom Bemühen, sich jenes persönliche Vertrauen zu schaffen, das Voraussetzung ist, am gemeinsamen Tisch Platz nehmen zu dürfen. Es ermöglicht persönliche Unabhängigkeit vom anderen in ihrer ganzen Ambivalenz: "Ich bin dir nichts schuldig, du bist mir nichts schuldig". Es ermöglicht aber auch jene Zusammenführung der individuellen Kräfte, die technischen Fortschritt möglich machen.

14.
Mit dem Instrument ‘Geld’ kann der Mensch ökologische und soziale Begrenzungen niederreissen. Diese Entgrenzung macht den Wohlfahrtsstaat möglich, aber auch notwendig. Damit sind wir aber von diesem Geldsystem in doppelter Weise abhängig. Einmal weil Geld die bisherigen sozialen Strukturen in all ihrer Ambivalenz immer stärker auflöst, zum zweiten aber auch deshalb, weil dieser Wohlfahrtsstaat nur über Steuern und Abgaben, die derzeit vornehmlich auf der Arbeit lasten, zu dem für seine Finanzierung nötigen Geld kommt.

15.
Wenn nun die reinen Dienstleistungen, wie sie in Tauschringen angeboten werden, heute immer weniger ausgetauscht werden, so liegt dies offensichtlich daran, daß Arbeitskosten und Arbeitseinkommen nicht mehr in einer akzeptablen Relation liegen, und nicht so sehr an einem Systemfehler unserer Geldordnung,

Die einseitige Belastung der menschlichen Arbeit durch Steuern und Abgaben wird heute heftig diskutiert. Der als ‘ökosoziale Steuerreform’ apostrophierte Vorschlag ist jedoch allein nicht geeignet, sowohl die ökologische als auch die soziale Frage zu lösen. Der Verbrauch an Natur und Umwelt darf nicht ‘weggesteuert’ werden, solange er die Steuerbasis für die Finanzierung des Wohlfahrtsstaates mit abgibt.

Soll dieser aber ‘weggesteuert’ werden, ist für den Sozialbereich eine andere Lösung zu suchen. Dabei ist zu bedenken, daß es gerade in Sozialbereich vielfach nicht um gnadenlose Rationalisierung, um Zeit-Effektivität geht, sondern um gegenseitige Zuwendung, Geduld, Zeit haben. Also um Gegenseitigkeit statt Wettbewerb.

16.
Es geht bei den Tauschringen nicht darum, ‘böses Geld’ durch ein ‘gutes Geld’ zu ersetzen. Auch Geld ist ambivalent. Für bestimmte Bereiche ist seine Logik nicht ersetzbar.

Es geht vielmehr um den Aufbau von einer zur Geldstruktur zusätzlichen Struktur, die sich für große Bereiche des Austausches von gegenseitiger Hilfe eignet, wie sie in weiten Bereichen des sozialen Zusammenlebens anfällt.

Tauschringe, Zeittauschklubs u. ähnliches mehr mögen hierfür einen ersten Ansatz bieten. Da diese Ringe aber gerade dem Steuern- und Abgabenregime - und nicht dem Zinssystem -auszuweichen versuchen, geraten sie rasch in den Geruch der Schwarzarbeit. Deshalb ist von staatlicher Seite her eine grundsätzliche Entscheidung zu treffen, die erlaubt, Sozialarbeit auch in dieser Form zu organisieren.

Es stellt sich die strukturpolitische Frage, ob nicht derartiges organisiert werden muß, um eine ökosoziale Lösung unserer Wirtschaft zu erreichen.

17.
Mit der Verschuldung in Geld, also mit Krediten, wird auf bereits vorhandene materielle Ressourcen zurückgegriffen. Es bedarf deshalb einer Steuerung, um eine übertriebene Ausweitung der nachfragenden Geldmenge - und damit von Inflation - zu verhindern. Diese Steuerung erfolgt über die Mindestreservenpolitik und den Notenbankzinssatz. Über letzteren bestimmt sich auch der Einlagenzinssatz und damit die Höhe der privaten Zinserträge.

Um dem nun verteilungspolitisch entgegenzuwirken, ist es vorstellbar, daß der Notenbankzinssatz auf etwa Null abgesenkt wird und die Steuerung der Kreditnachfrage und damit der Geldmenge über eine variable Kreditabgabe erfolgt, deren Festlegung der Notenbank obliegt.

Darüberhinaus könnte es notwendig werden, auch eine Abgabe auf Bargeld zur Vermeidung dessen Hortung eingeführt werden. Dies insbesondere dann, wenn sich eine deflationäre Tendenz einstellen sollte.