Leserbriefe aus dem Tagesanzeiger

Die Sklaven des Geldes

Don Giacinto und die Notenbanker, TA vom 16. 10.

Das Geldexperiment im Abruzzenstädtchen Guardiagrele erinnert leider allzu sehr an die Versuche von Evita Perón. Sie liess in grösster Naivität immer wieder neue Banknoten drucken und an die armen Leute verteilen mit dem Resultat einer gewaltigen Inflation und noch grösserer Verarmung der Bevölkerung als zuvor. Der Initiator dieses italienischen Geldexperimentes, Giacinto Auriti, hat wohl richtig erkannt, dass mit dem heutigen Geld, das von den Notenbanken ausgegeben und nur gegen Zins verliehen wird, etwas nicht stimmen kann. Aber das Problem liegt nicht bei den Notenbanken, wie Don Giacinto glaubt, sondern beim Charakter des heutigen Geldes: Es verkriecht sich ungestraft in Banken und Tresoren, wenn der Zins oder die Rendite einer Investition zu klein scheint. Die Lösung hat Silvio Gesell gefunden mit seinen Freigeldnoten, die in der Menge so ausgegeben werden, dass der durchschnittliche Preisstand stabil bleibt, aber periodisch gegen Gebühr abgestempelt werden müssen und dadurch dauernd in Zirkulation bleiben oder unabhängig von der Höhe des Zinses investiert werden. 1932/33, mitten in der grossen Wirtschaftskrise, wurde im Städtchen Wörgl in Tirol mit diesem Freigeld nach Gesell ein äusserst erfolgreiches Experiment durchgeführt. Als schlussendlich mehr als 170 Gemeinden dieses Reformgeld auch einführen wollten, schritt die österreichische Notenbank ein und verbot das ganze Experiment. In den USA sollte zur selben Zeit ein Experiment mit den "Stamped Scrips" nach den Ideen von Silvio Gesell gemacht werden. Aber nur drei Tage vor der landesweiten Einführung verbot Roosevelt am 4.März 1933 das Experiment. In der Schweiz ist das WIR-Geld mit seinen tiefen Zinssätzen ein Überbleibsel eines Geldexperimentes der Dreissigerjahre. Seit einigen Jahren gibt es auch noch einen weiteren Versuch mit dem so genannten Talent, und es ist zu hoffen, dass vor allem auch die hohe Wissenschaft allmählich merkt, dass etwas mit dem Geld geschehen muss.

HANS AMMANN, ADLISWIL

 

Das so schlaue wie erfolgreiche Alternativgeldexperiment des Don Giacinto beruht nicht nur auf einer "fixen Idee", wie der TA schreibt, sondern berührt vielmehr die entscheidende Gretchenfrage einer zukünftigen demokratischen Ökonomie: Sollen die Menschen Sklaven des Geldes sein (so wie heute), oder soll das Geld der Menschheit dienen (so wie in einer möglichen besseren Zukunft)? Professor Auritis Konzept, bei dem neues Geld nicht via Kredit, sondern als schuldenfreies Guthaben geboren wird, ist keineswegs ein naives Hirngespinst. Auch unabhängige Geldexperten empfehlen diesen Weg. Vincent C. Vickers, von 1910 bis 1919 Governor der Bank of England, schrieb in seinem Lebensresümee "Economic Tribulation" zur Richtung einer zukünftigen Politik: "Jede zusätzliche Geldschöpfung sollte als

 

ein reines Guthaben des Staates ausgewiesen werden, sodass also Geld ins Dasein gegeben, nicht aber ins Dasein geliehen wird." Es ist einsichtig (und leicht ausführbar), dass eine Aufsichtsbehörde, die nur der Geldwertstabilität verpflichtet wäre, das Volumen dieser verschuldungsfreien Geldschöpfung inflationsfrei (!) regulieren könnte. Zusammen mit einer geringen Umlaufgebühr auf liquide Zahlungsmittel und einer konsequenten Tobin-Tax gegen Spekulationswucher hätten wir dann ein sozial gerechtes Geldsystem, auf dessen Grundlage eine demokratische Ökonomie aufblühen könnte.

KONRAD NOLL, KONSTANZ

 

Der Preis von ertrogenen Gewinnen

Die Sklaven des Geldes, Forum vom 26. 10.

Hans Ammann vergleicht das Geldexperiment des Italieners Auriti mit demjenigen von Evita Peron. Er verweist auf Silvio Gesell, der mit seinen Freigeldnoten die Lösung gefunden habe, indem die Geldmenge jeweils so ausgegeben wird, dass der Preisstand stabil bleibt. Zur Gewähr, dass das Geld ständig in Zirkulation bleibt, müsste es periodisch abgestempelt werden. Wenn Letzteres auch bei niedrigem Profit gewährleistet bliebe, brächte die Reduktion der Geldmenge eine Verbesserung. Noch besser wäre aber ein Leihgeld, das altert oder dessen Wert nur befristet gültig bleibt und das dann zu Schenkungsgeld wird, wie es Rudolf Steiner vorgeschlagen hat. Damit ist aber erst ein Teil der Geldfrage erkannt. Weil Geld als beliebig vermehrbare Ware angesehen wird, macht es die menschliche Arbeitskraft zur Ware. Da sie aber niemals Ware sein kann, macht dies den Wirtschaftsprozess zur Lüge. Menschliche Arbeitskraft kann niemals mit irgendeinem Warenprodukt bezüglich des Wertes verglichen werden. Der Warencharakter ist ein Rest des früheren Sklaventums, aus ihm erwächst den Kapitalgebern eine Gewalt, die den Rechten der Arbeitenden und ihrer Menschenwürde diametral entgegensteht. Real handelte es sich eigentlich um einen Kaufvertrag für den vom Arbeitenden zu erbringenden Leistungsanteil an den herzustellenden Produkten, dem auch ein angemessener Anteil am erzielten Ertrag, auch an den Produktionsmitteln, entsprechen würde. Ohne ethische Verantwortung wirkt das heutige Geldwesen mit seinen Scheinwerten und der mit Hilfe des überholten Aktienrechts praktizierten kurzfristigen Profitmaximierung des Leihkapitals wie ein Krebsvirus im menschlichen Körper krank machend auf den sozialen Organismus der Weltwirtschaft. Weil der Preis für die von den Topmanagern und Börsengamblern ertrogenen Gewinne meist nur von den Schwachen oder den Entwicklungsländern getragen werden muss, wiegt man sich in den reichen Industrieländern in einer trügerischen Sicherheit.

CHRISTOF A. STOKAR, ZÜRICH