Ernst Dorfner

 

Fetisch contra Mantra

Ein Vorwurf an attac,

und wie von E. Altvater, W. Onken u. M. Kennedy

damit umgegangen wird

 

1.

„Ein Teil der Attac-Mitglieder mag nicht wahrhaben, dass Globalisierungskritik Gefahr läuft, nicht nur in Nationalismus, sondern auch in Antisemitismus abzugleiten. Wenn über ‚das Finanzkapital’ oder ‚die Wall Street’ geraunt wird, ruft dies das alte Vorurteil vom geldgierigen Juden wach. Etliche Globalisierungskritiker erliegen der Versuchung, für unübersichtliche Entwicklungen Sündenböcke verantwortlich zu machen. Die komplexen Zusammenhänge der Globalisierung reduzieren sie auf ein Komplott dunkler Mächte...Doch wer an Verschwörungen glaubt, denkt auch die Verschwörer implizit mit, Und das nächstliegende Stereotyp dafür sind ‚die Juden’“ [1]

 

So Toralf Staud in „Die Zeit“ (Nr 44/2003) Ein harter Vorwurf. Auch ein ungerechtfertiger Vorwurf ? Elmar Altvater jedenfalls hält ihn für ungerechtfertigt. Doch begründet er das nicht. Er sieht jedoch einige Trittbrettfahrer in der Anti-Globalsierungsbewegung, die gegen den Vorwurf des Antisemitismus nicht gefeit sind. Dazu zählt er auch und vor allem die Anhänger von Silvio Gesell,  die Gesellianer.

 

2.

Bleiben wir aber zuerst doch bei der Kernschicht der Anti-Globalisierer, bleiben wir bei Altvater selbst. Im Impulsreferat zum ATTAC-D-Ratschlag in Aachen am 17.10.2003, veröffentlich im "FREITAG" Nr. 44) heißt es:

„Zurück nach Europa. Auch im Eurogebiet ist die Primärbilanz aller Staatseinnahmen und -ausgaben strukturell positiv, im vergangenen Jahr mit 1,8 Prozent. In Deutschland werden ebenfalls leichte Überschüsse erzielt. Wie kommt es dann zur Jammerdebatte um den Bruch des Maastrichter Stabilitätspaktes? Erst wenn man den Schuldendienst mitberechnet, der im Sekundärbudget eingestellt wird, kommen die Defizite der öffentlichen Haushalte zustande, die nun ein großes Geschrei um die "Verletzung des Maastrichter Stabilitätspaktes" auslösen. Es müsse gespart, der Gürtel enger geschnallt werden. Nach Adam Riese wären ja bei positivem Wachstum und einem primären Überschuss des Staatshaushalts leichte Zuwächse für alle möglich. Doch die Logik der Gespensterwelt lautet in aller Schlichtheit: Wenn der Staatshaushalt insgesamt defizitär ist, dann rührt bitte sehr das dafür verantwortliche defizitäre Sekundärbudget nicht an, Zinszahlungen an die Halter von Staatsanleihen sind tabu. Nicht aber die Sozialausgaben und die Einnahmen aus Steuern und Abgaben auf Löhne und Gehälter. Schneidet dort und reduziert hier, um den Überschuss im Primärbudget zu steigern.

Die Zinszahlungen im Sekundärbudget gelten als sakrosankt. Das Kapital ist bekanntlich ein scheues Reh – und das bei realen Zinssätzen, die seit Jahren überall in der Welt oberhalb der realen gesamtwirtschaftlichen Wachstumsrate liegen. Selbst derzeit sinkende Nominalzinsen sind noch zu hoch, weil gesamtwirtschaftliches Wachstum und die Inflationsrate in einer Lage, in der der IWF bereits deflationäre Gefahren erblickt, gegen null gehen. Alle reden von der "Gerechtigkeitslücke", die Haushaltssanierer aller Länder machen sie, auch die Bundesregierung.

Mit der Agenda 2010, mit Kürzungen bei Arbeitslosengeld und Krankenversicherung, mit einer Verschlechterung des Kündigungsschutzes und durch Lohnabbau im Niedriglohnbereich, durch Einschnitte bei Renten und Pensionen, mit Angriffen auf den öffentlichen Dienst und damit auf die Versorgung der Bevölkerung wird ein mächtiger Schlag zu Gunsten derjenigen geführt, die über Geld und Kapital verfügen.“ (Altvater 03, S. 3ff[2])

Dies ist wohl richtig, aber dennoch auch zu jener Personifizierung geeignet, vor dem „Die Zeit“ warnt. Die Sündenböcke sind ausgemacht: Es sind die, die über Geld und Kapital verfügen. Die Finanzkapitalisten, die Bezieher von Kapitalerträgen und Zinseinkünften. Eben die ...

 So heißt es bei Altvater denn auch weiter:

„Was hierzulande Hartz-, Rürup-, Herzog-Kommission oder die Agenda 2010, das sind in anderen Weltregionen die Strukturanpassungsprogramme von IWF und Weltbank. Nicht alle Bevölkerungsgruppen sind in gleichem Maße zur "Gestaltung der Erneuerung", wie die Sozialdemokratie ihr Projekt 2010 bezeichnet, aufgerufen. Die Generosität denjenigen gegenüber, die Kapitalerträge und Zinseinkünfte beziehen, ist ebenso einseitig wie die Austerität, die denen abverlangt wird, die auf Arbeitseinkommen angewiesen sind oder keine Arbeit haben bzw. aus dem Arbeitsleben ausgeschieden sind. Das ist ein "Konsens von Washington", den dessen Urheber gern auf alle Welt ausdehnen würden. Der Grüne Bütikofer ist dabei, Verzicht und Sparen, so meint er, finden zu Gunsten des Gemeinwesens statt. Diejenigen werden mit keiner Silbe erwähnt, die sich aus der Solidargemeinschaft, reichlich mit rot-grünen Steuergeschenken belohnt, haben verabschieden dürfen.“ (Altvater 03, S. 4)

Der „Konsens von Washington“ – ein Komplott dunkler Mächte?: Welche Personen haben sich da auf was geeinigt? Verschwörerisch geeinigt?? Denn:

„Geld regiert die Welt, und zwar in einem Ausmaß, das sich der Urheber des Wortes, Pubilius Syrus aus dem ersten Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung, niemals hätte vorstellen können. Geld ist eine soziale Beziehung zwischen denen, die es haben, und denjenigen, die es benötigen, zwischen Geldvermögensbesitzern und Kapitaleigentümern einerseits und Schuldnern andererseits. Die letzteren haben Schuldendienst zu leisten, der zum Zuwachs der Geldvermögen und des Kapitals beiträgt. Dass so die Ungleichheit in der Welt zunimmt, ist wenig verwunderlich. Das Millenniumsziel der Armutsreduktion wird auf der Strecke bleiben. In ihrem jüngsten Report über die Ungleichheit in Lateinamerika und der Karibik muss die Weltbank eingestehen, dass in vielen Ländern die Reichen reicher und die Armen wohl ärmer geworden sind; die 10 Prozent reichsten Haushalte verfügen über 48 Prozent der Einkommen, die zehn Prozent ärmsten über gerade einmal 1,6 Prozent (Weltbank 2003). “(Altvater 03, S. 4)

Dem möchte man eigentlich zustimmen. Das jedoch ist das Gefährliche daran. Denn die Wortwahl projeziert unterschwellig ein verfälschtes Bild, das zu einem Pauschalurteil verführt: Die „bösen“ Geldvermögensbesitzer und Kapitaleigentümer als die Reichen, denen die „guten“ Armen als Schuldner gegenüberstehen.

Zwar ist es richtig, dass die Geldvermögensbesitzer und Kapitaleigentümer die gutsituierten bis höchstvermögenden Gläubiger sind, aber die Armen sind nicht die Schuldner. Allerdings sind die Armen die von den Schulden des Staates Betroffenen. Hier und anderswo. Weil dieser einen Gutteil seiner Einkünfte an die Bezieher von Zinseinkünften zahlen muss. Nicht nur in den Entwicklungsländern, sonder auch in Deutschland. Hier sind es 70 Mrd. Euro jährlich, die statt ins Sozial – und Bildungsbudget zun den Reichen fließen.

Wer aber sind dann die Schuldner? Machen wir eine Blick in die Statistik:

 

Private Haushalte

Nichtfinanzielle Kapitalgesellschaften

Staat

Monetäre Finanzinstitutionen

Geldvermögen

3.730,5

1.901,1

   301,6

5.462,5

Geldschulden

1.535,0

3.142,4

1.325,4

5.278,0

Netto-Geldvermögen

2.195,5

 

 

   184,5

Netto-Geldschulden

 

1.241,3

1.023,9

 

Tab. 1: Geldvermögen und Geldschulden für 2002 in Mrd. Euro, Quelle: Bundesbank, Finanzierungrechnung 1991 bis 2002, Tab. XI

Wir sehen: Die Geldvermögen sammeln sich bei den privaten Haushalten, während die größten Schuldner die Nichtfinanziellen Kapitalgesellschaften sind, also die Unternehmen. Die größten Netto-Schuldner wiederum sind die Unternehmen, gefolgt vom Staat. Sie sind Schuldner gegenüber den privaten Haushalten, aber als Einzelne auch Schuldner gegenüber anderen Unternehmen, etwa in Form offener Rechnungen, die beim Gegenüber als Geldvermögen zu Buche schlagen.

Aber auch die privaten Haushalte haben hohe Schulden. Das aber sind gerade nicht die Armen, sondern die Reichen und der Mittelstand. Die Armen können nämlich – abgesehen von nichtbezahlten Rechnungen und Teilzahlungen in der Lebensführung und damit einer in Relation gesehen untergeordneten Größe     keine Schulden haben, weil sie ja mangels Vermögen gar keine Kredite aufnehmen können.

Zu den Haushalten zugerechnet werden aber auch alle Einzelunternehmer wie Freiberufler, Künstler, Kleingewerbetreibende, usw, also alle Unternehmen, die keine Kapitalgesellschaften sind. So verbirgt sich auch hier hinter der Statistik ein sehr differenziertes Bild.

Am ehesten als homogenes Gebilde kann der Staat betrachtet werden, wiewohl es auch hier  zwischen den einzelnen Gebietskörperschaften Gläubiger/Schuldner-Verhältnisse gibt, wie auch aus der Position „Geldvermögen des Staates“ abgeleitet werden kann.

 

 

 

3.

Um es nochmals zu sagen: Natürlich wirken sich die Schulden des Staates ganz deutlich auf die Lebensumstände der Armen aus. Das soll auch mit der Tabelle nicht bestritten werden. Sie sollte aber deutlich machen, dass die Zusammenhänge vielschichtiger sind als mit ideologisch verkürzten Aussagen dargestellt wird, die dann jenes Unterfutter darstellen, auf denen Verschwörungstheorien auf  beiden Seiten wuchern können. Die dann dazu führen können, dass die „Tat“ irgendwann zum „Täter“ mutiert.

„Eric Hobsbawm hatte Recht, als er das "kurze 20. Jahrhundert" als ein Jahrhundert des Wachstums bezeichnete und das 21. Jahrhundert als Jahrhundert der Verteilung voraussah. Er hatte damit freilich nicht eine so schamlose Umverteilung von unten nach oben gemeint, wie sie derzeit überall in der Welt erzwungen wird. Diejenigen, die sich dagegen zur Wehr setzen, stehen plötzlich als Anwälte der Verkrustung, als Feinde der Flexibilität und Modernität, als Reformbremser, als konservative Besitzstandswahrer da. Wenn sie sich zur Wehr setzen, laufen sie Gefahr, von den konservativen Rechtsaußen als "Terroristen" eingestuft zu werden.“ (Altvater 03, S.4ff)

Es ist schon richtig, wenn vermerkt wird, dass die Reichen immer reicher werden. Worin aber besteht ihr Reichtum, der da verteilt werden soll? Schauen wir uns doch Tab. 1 nochmals an: Das Geldvermögen der privaten Haushalte besteht zum Teil  auch in den Schulden privater Haushalte. Wohlgemerkt: Schulden. Also in längerfristig zu erfüllenden Ansprüchen an andere Haushalte, die aber gerade das Geld nicht oder noch nicht haben. Denn sonst würden sie ja ihre zinsbelasteten Schulden tilgen. Verkürzt: Der Reichtum der einen besteht in noch nicht erfüllbaren Verpflichtungen von anderen.

Des weiteren kann man sagen: Dem Netto-Vermögen der Haushalte entsprechen auf der anderen Seite die Netto-Schulden der Unternehmen und des Staates zusammen. Oder wiederum verkürzt: Das Vermögen besteht in den Schulden der anderen, also in Forderungen. „Geld ist eine soziale Beziehung ....“ schreibt Altvater weiter oben. Dem ist zuszutimmen. Wenn es aber dann weiter heißt: „ .... zwischen denen, die es haben, und denjenigen, die es benötigen, zwischen Geldvermögensbesitzern und Kapitaleigentümern einerseits und Schuldnern andererseits“, dann ist das ein Bruch, ein Rückfall in der so richtig eingeleiteten Beschreibung von Geld: Die soziale Beziehung, die immer nur zwischen zwei (oder mehr) Menschen bestehen kann, wird rasch wieder in ein Ding verwandelt, das einer allein haben kann. Geld ist eine soziale Beziehung zwischen Schuldnern und Gläubigern, aber keine soziale Beziehung zwischen denen, die es haben, und jenen, die es benötigen.

Der Reichtum besteht in längerfristig zu erfüllenden Forderungen in Geld an andere, nicht aber in etwas, das den einen genommen und den anderen gegeben werden kann. Diese zeitlich gebundenen Forderungen können aber soweit „zu Geld gemacht“ – also in sofort fällige Forderungen verwandelt -- werden, soweit sich hierfür Käufer am Vermögensmarkt finden. Das aber heißt auch, dass es Geldvermögen nur so lange gibt, wie es Vermögende gibt, die es wegen eines Vorteils an sich bringen wollen. Geldvermögen ist also nichts Absolutes, sondern nur ein Relatives, eben eine Beziehung.

Da also die Geldvermögen nur umgeschichtet, nicht aber in Summe zu Geld gemacht werden können, stellt sich die Frage, welche Folgen auf dem Vermögensmarkt eine - so wie sie angedacht ist -- bessere Verteilung der Vermögen der Vermögenshaushalte  auf alle Haushalte hätte. Weil ja  der zu erzielende Preis  vom Verhalten der Verkäufer einerseits und der Käufer andererseits abhängt. 

Statt dies aufzuklären, beschwört Altvater immer wieder Stereotype:

„Von einigen werden die Kürzungen bei Gesundheitsleistungen und Pensionen genutzt, um die Alten für die Belastung der Jungen verantwortlich zu machen und nach "Generationengerechtigkeit" zu rufen. Diese Art Gerechtigkeit wird gesponsert von Versicherungskonzernen und Pensionsfonds, die sich bei der Privatisierung von Alters- und Gesundheitssicherung ein schönes Geschäft versprechen. Doch Gerechtigkeit zwischen Generationen mit einer Versicherungspolice kaufen zu wollen, ist ein törichtes Unterfangen“. (Altvater 03, S. 5)

Das ist schon richtig, was hier Altvater sagt. Unser Alterssicherungs- und Gesundheitssystem leidet schwer unter der Belastung des Staatshaushaltes mit den Zinsen für die Schulden des Staates. Dennoch wird hier wieder vereinseitigt  argumentiert, eine Verschwörung von Konzerenen und Fonds gezeichnet, die ja dann auch die Züge bestimmter Menschen annehmen. Mit der Dingfestmachung von Dunklen Mächten wird dann davon abgelenkt, dass es so etwas wie einen Generationenvertrag immer geben wird müssen. Denn immer muss die aktive Generation für die Nachkommenden und die Alten mit ihrer Arbeit sorgen.

„Perverserweise kommen dabei hohe und steigende private Geldvermögen zustande und ihre Besitzer suchen nach rentabler Kapitalanlage. Die Verschuldung des öffentlichen Sektors ist dabei von denen hoch willkommen, die sonst nach Einsparungen rufen. Die Zinsen auf die Staatsschuld, die im sakrosankten Sekundärbudget verbucht werden, kommen den privaten Anlegern zu Gute. Kürzungen im Primärbudget, also im Sozialhaushalt, sind unvermeidlich und werden von ihnen begrüßt. Das ist ein Perpetuum mobile der Umverteilung von unten nach oben, und zwar in globalem Maßstab. Man wird diesen verrückten Mechanismus anhalten müssen, um überhaupt an die tatsächlich notwendigen Reformen der sozialen Sicherungssysteme, an die Schaffung einer sozialen Demokratie im 21. Jahrhundert heran gehen zu können.“ (Altvater 03, S. 11)

Wiederum wird deutlich, wie wenig Altvater seine eigene Meinung verinnerlicht hat, dass Geld eine soziale Beziehung ist. Private Geldvermögen können ja gar nicht entstehen, wenn nicht gleichzeitig und uno actu auch Geldschuldner entstehen. Auch er verfällt immer wieder in das alte Vorstellungsschema eines Gelddings, das für sich allein vorhanden ist, das der eine haben kann, oder ein anderer, und das von einem zum anderen verschoben werden kann.

Was also hat Altvater den Gesellianern vorzuwerfen?

In einer Schußbemerkung schreibt er.

„Es spricht einiges dafür, dass der Antisemitismus, auch wenn er nicht explizit geäußert wurde, strukturell immer vorhanden war. Es ist also nicht allein der Waren- und Geldfetisch, der dazu veranlasst, dass soziale Beziehungen ein Gesicht bekommen und dieses Gesicht zum Feindbild des Antisemiten werden kann. Dies kann nur dann ausgeschlossen werden, wenn das Geld und die globalen Finanzmärkte nicht als verselbständigte Gestalten, sondern immer mit ihren sozialen Beziehungen im Rahmen einer Kritik der Politischen Ökonomie analysiert werden, also in einem Rahmen, den Silvio Gesell ganz explizit ablehnt. An der Marx’schen Geldtheorie nämlich bemängelt er, dass „die Aufmerksamkeit des Proletariats vollkommen vom Geld abgelenkt und die Börsenräuber, Wucherspieler, Spitzbuben unmittelbar in den Schutz der besitzlosen Klasse, des Proletariats gestellt“ worden sind (Gesell 1920: 325). Die Übel des Geldes sind personifiziert. Dies hat Konsequenzen für die „ökonomische Alphabetisierung“ (Bourdieu). Zinsen kann man nicht abschaffen, ohne die kapitalistische Gesellschaftsformation zu überwinden. Aber man kann sie regulieren, durch geeignete wirtschaftspolitische Maßnahmen auf nationaler wie globaler Ebene. Dafür müssen Konzepte ausgearbeitet werden, um die fatale Hilflosigkeit gegenüber vorgeblichen Sachzwängen der Globalisierung zu überwinden und vor allem jede Sündenbockannahme zu unterbinden. Nur so ist die Immunisierung gegenüber den Gefährdungen eines strukturellen Antisemitismus möglich.“ (Altvater 04, S.34 ff[3])

An diesen Aussagen ist etliches, oder vieles sogar, bedenkenswert.  Geld und die globalen Finanzmärkte sollten nicht „als verselbständigte Gestalten, sondern immer mit ihren sozialen Beziehungen“ (oder: als „soziale Beziehungen“) analysiert werden. Aber wie sehr hält sich Altvater selbst an diese Einsicht? Eben auch nicht, um es nochmals zu sagen. Er redet zwar von „sozialer Beziehung“, doch bleibt das eine leere Hülle, ein Wortmonstranz, mit dem gut geredet werden kann, ohne etwas zu sagen.

„Doch nur auf das Geld und seine Zinseszinsdynamik zu schauen und die Verknüpfung mit dem kapitalistischen Produktionsprozess aus dem theoretischen Horizont zu entfernen, ist Liebedienerei am Geldfetisch, auch wenn diese gar nicht beabsichtigt sein sollte. Das Geldrätsel existiert für diese Geldheiler nicht, weil statt Fragen nur Antworten da sind, oder das rational auflösbare Rätsel als Mysterium irrational verklärt wird.“ (Altvater 04, S. 12)

 

Klärt das auf, woran es der Gesell’sche Theorie wirklich mangelt?  Warum der Vorwurf , wenn selbst mit der Wortblase „Geldfetisch“ argumentiert wird, anstatt über bilanzmäßige Zusammenhänge und Gegebenheiten wirklich aufzuklären. Dient das dazu, Sachzusammenhänge aufzuklären, anstatt Personifizierung zu provozieren?

 „Was wird nach der schweren Krise der neoliberalen Globalisierung folgen? Wohl kaum das Ende des Kapitalismus, wohl aber Konzepte der Regulierung globaler Kreisläufe zusammen mit der Gestaltung lokaler, solidarischer Ökonomie. Die Ökonomie muss wieder in die Gesellschaft zurück geholt werden, das Soziale muss gegen die Gier der Ökonomie verteidigt werden. Wenn dies in diesem Lande im parlamentarischen Raum nicht mehr möglich ist, weil Rotgrün in entscheidenden Politikfeldern nichts wesentlich anderes praktiziert als Schwarzgelb, dann müssen Frieden in der Welt und sozialer Ausgleich in diesem Land und anderswo außerparlamentarisch von sozialen Bewegungen verteidigt werden, so wie sie hier präsent sind.“ (Altvater 03, S. 10)

Immer wieder vieles, dem man zustimmen möchte. Doch gleich zögert man. Wieder wird mit einem Fetisch gewachelt: „Die Gier der Ökonomie“.  Ein Mysterium? Müssen das nicht die leibhaftig Gierigen sein, die nur mehr um des Raffens willen raffen? Die  eh schon dingfest gemacht wurden, die Ackermanns und Ezard Reuters und Ron Sommers und .....??

Mit pointierter Verkürzung der Realitäten in  Wortmonstranzen wird Schwarz-Weißmalerei betrieben,  die unterschwellig  personifiziert, werden hie die Guten, dort die Bösen  dingfest macht : Das alte Rezept, wie man entsprechende Akklamation  erzielt. 

Was mit differnzierter Analyse wohl viel schwerer bis unmöglich ist.

 

4.

Hier nochmals die Frage, was denn Altvater den Gesellianer wirklich vorzuwerfen hat? Halten wir uns doch noch einmal an seine eigenen Worte:

.“Die Zinszahlungen im Sekundärbudget gelten als sakrosankt. Das Kapital ist bekanntlich ein scheues Reh – und das bei realen Zinssätzen, die seit Jahren überall in der Welt oberhalb der realen gesamtwirtschaftlichen Wachstumsrate liegen. Selbst derzeit sinkende Nominalzinsen sind noch zu hoch, weil gesamtwirtschaftliches Wachstum und die Inflationsrate in einer Lage, in der der IWF bereits deflationäre Gefahren erblickt, gegen null gehen. Alle reden von der "Gerechtigkeitslücke", die Haushaltssanierer aller Länder machen sie, auch die Bundesregierung.

Mit der Agenda 2010, mit Kürzungen bei Arbeitslosengeld und Krankenversicherung, mit einer Verschlechterung des Kündigungsschutzes und durch Lohnabbau im Niedriglohnbereich, durch Einschnitte bei Renten und Pensionen, mit Angriffen auf den öffentlichen Dienst und damit auf die Versorgung der Bevölkerung wird ein mächtiger Schlag zu Gunsten derjenigen geführt, die über Geld und Kapital verfügen.

Geld regiert die Welt, und zwar in einem Ausmaß, das sich der Urheber des Wortes, Pubilius Syrus aus dem ersten Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung, niemals hätte vorstellen können. Geld ist eine soziale Beziehung zwischen denen, die es haben, und denjenigen, die es benötigen, zwischen Geldvermögensbesitzern und Kapitaleigentümern einerseits und Schuldnern andererseits. Die letzteren haben Schuldendienst zu leisten, der zum Zuwachs der Geldvermögen und des Kapitals beiträgt. Dass so die Ungleichheit in der Welt zunimmt, ist wenig verwunderlich. Das Millenniumsziel der Armutsreduktion wird auf der Strecke bleiben. In ihrem jüngsten Report über die Ungleichheit in Lateinamerika und der Karibik muss die Weltbank eingestehen, dass in vielen Ländern die Reichen reicher und die Armen wohl ärmer geworden sind; die 10 Prozent reichsten Haushalte verfügen über 48 Prozent der Einkommen, die zehn Prozent ärmsten über gerade einmal 1,6 Prozent (Weltbank 2003).“ (Altvater 03, S. 3ff)

Das könnte nun fast auch ein Gesellianer geschrieben haben.  „Geld ist eine soziale Beziehung zwischen denen, die es haben, und denjenigen, die es benötigen“:  Da lese ich Dieter Suhr heraus. Nur von „sozialer Beziehung“ hat dieser nichts gesagt.

Deshalb soll das Interesse hier nun darauf gelenkt werden, was denn Onken in seiner Replik[4] auf Altvater zu sagen hat.

 

In seinem Papier geht es im wesentlichen nur um die Bemühung, die persönliche Integrität der von Altvater angeshwärzten, meist schon lange verstorbenen Gesellianer, wieder herzustellen. In der  Sache selbst widerspricht er aber Altvater eher nicht. 

 

„In einem anderen Kritikpunkt möchte ich Elmar Altvater jedoch entgegenkommen und ihm zustimmen, dass Gesell und seine Anhängerschaft oftmals den „gesellschaftlichen Kontext“ vernachlässigt und eine “Geldtheorie ohne Gesellschaftstheorie” betrieben haben.  Ansatzweise wurde der Produktionsprozess im 5. Kapitel seines Hauptwerks und an anderen Stellen durchaus mitbedacht; aber es wurde versäumt, die Geldkritik auch systematisch zu einer Theorie der Wettbewerbsbeschränkungen und zu einer Konzentrations- und Monopoltheorie auszubauen.“(Onken, S.13)

 

Das ist nun aber wirklich wenig. Die Vorstellung von Geld als soziale Beziehung kommt hier und auch anderswo in Onkens Text nicht vor. Warum aber? Hält Onken das für falsch? Oder so irrelevant, dass er dem nicht einmal in einem Satz widerspricht? Als Leerformel?

 

Onken hätte zumindest deutlich sagen müssen, dass die orthodoxen Gesellianer in Geld  ein Ding sehen – und eben keine soziale Beziehung. Hat er das nun deshalb nichts gesagt hat, weil das für ihn so eine Selbstverständlichkeit ist, dass ihm gar nicht in den Sinn kommt, es könnte anders sein? Das, was Altvater sagt, nur marxistisches  Wortgeplänkel sein kann?

 

Onken hat auch dann  nichts zu sagen, wenn Altvater über das Wörgler Experiment u.a. so urteilt:

 

Viertens bestätigt das Experiment von Wörgl, dass Schwundgeld zu einer Beschleunigung der Geldzirkulation beiträgt: Jeder möchte es so schnell wie möglich loswerden, um die monatliche Geldentwertung von 1% zu vermeiden. Die Vergrößerung der Umlaufsgeschwindigkeit des Geldes wirkt so, als ob die Geldmenge ausgedehnt worden wäre. Dies kann durchaus inflatorische Tendenzen bestärken oder auslösen. In einer schweren Krise wie 1932 kann dies ja erwünscht sein, doch waren die umlaufenden Beträge im Vergleich zur offiziellen Geldzirkulation so gering, dass die Wirkung verpuffen musste.

Damit sind wir beim entscheidenden Defizit des Frei- oder Schwundgeldes, nämlich bei der Nichtberücksichtigung der Reproduktionszusammenhänge, deren synthetischer Ausdruck das Geld ist. Am Geld herum zu experimentieren, ohne die sozialen und ökonomischen Reproduktionsbedingungen prinzipiell anzutasten, ist der Versuch, Symptome zu kurieren.“( Altvater 04, S. 23ff)

 

Geht es nur um die Erhöhung der Umlaufgeschwindigkeit – oder geht es um die Erhöhung der Umlaufgeschwindigkeit im Reproduktionszusammenhang? Müssen nicht auch die Waren schneller nachrücken, wenn das Geld schneller umläuft? Oder sind die sowieso immer wieder zur rechten Zeit da? Ist es richtig, dass die Gesellianer diese Zusammenhänge überhaupt nicht berücksichtigen? Wobei es nicht allein  darum geht, „die Geldkritik auch systematisch zu einer Theorie der Wettbewerbsbeschränkungen und zu einer Konzentrations- und Monopoltheorie auszubauen“, wie Onken meint. Zu fragen ist ja doch zuerst, in welcher Gesellschaft die Produktionszusammmehänge grundsätzlich wie ausschauen, ehe man über bestimmte detaillierte Ausformungen spricht.

 

Jedenfalls kann Altvater  weiterhin unwidersprochen solange Kritik üben, wenn von den Gesellianern mehr vorausgesetzt als konkret gesagt wird, was Geld denn ist, aber nicht, wo es herkommt, wie es im und in welchem sozialen Zusammenhang, in welcher wie ausgeformten Gesellschaft es entsteht.

 

Das ist natürlich statthaft, wenn man von den Grenzen weiß. Doch sind diese den vielen umherschwirrenden Gesellianern keineswegs immer bewusst. Sie wollen ein nicht-kapitalistisches Geld, ohne den Kapitalismus theoretisch und praktisch in Frage zu stellen, so als ob das Geld ohne Gemeinwesen existieren würde und ein Gemeinwesen ohne formspezifisches Geld auskommen könne. Der Überschuss wird nicht als Mehrwert und damit das Kapital als soziale Beziehung in Frage gestellt, sondern nur der Zins und dieser vor allem wegen der Zinseszinsdynamik, durch die der Überschuss irgendwann einmal ausschließlich auf die Konten der Geldvermögensbesitzer umgelenkt wird und für produktive Kapitalisten, aber auch für die Lohnabhängigen weniger und manchmal nichts bleibt (so bei Suhr 1983a; 1983b). Entscheidend ist dabei, dass der Zusammenhang zwischen der sozialen Formation der Überschussproduktion und den historischen Regulationsweisen und Regimen einerseits und der Dynamik des Zinses andererseits aufgelöst wird.“ (Altvater 04, S. 24)

 

Onken muss dies nicht akzeptieren. Dann allerdings darf er auch nicht schweigen, sondern eine eigene begründete Meinung dagegen stellen. Es ist ja bezeichnend, wenn in folgender Aussage so gar nichts auffällt:

„Geld ist eine Forderung, die erfüllt werden muss, und zwar durch reale Produktion von Waren, die einen Mehrwert enthalten, der bei der Verwandlung in Geld als Profit realisiert wird. Erst wenn dies geschehen ist, kann die Forderung monetär erfüllt werden.“ (Altvater 04, S. 32)

Onken könnte hier Altvater im seinem marxistischen Revier stellen, wenn er ihn frägt, wie diese Realisierung des Mehrwertes in Geld denn möglich ist.  Die Frage, die Karl Marx stellt,

 

„ ...  ist nicht: Wo kommt der Mehrwert her? Sondern: Wo kommt das Geld her, um den Mehrwert zu versilbern? [...] Das in Form von Geldkapital vorgeschoßne zirkulierende Kapital von 500 Pfd. St. [...] sei das zirkulierende Gesamtkapital der Gesellschaft. Der Mehrwert sei 100 Pfd St. Wie kann nun die die ganze Kapitalistenklasse beständig  600 Pfd. St. aus der Zirkulation herausziehn, wenn sie beständig nur 500 Pfd. St. hineinwirft?“ (Kapital II, S. 330ff)

 

 Allerdings hat Onken selbst auch keine Antwort auf die inhaltsgleiche Frage, die Gesell nur etwas anders formuliert:

 

”Die Ware wird mit Geld gekauft und, mit Urzins belastet, an den Konsumenten gegen Geld wieder verkauft. Hiernach müßte der Konsument regelmäßig mehr Geld ausgeben als er als Produzent einnimmt.” (S. Gesell, NWO, S. 338)

 

Doch so wie Gesell darauf keine stimmige Antwort hat, fehlt sie auch bei Marx: Beide können nur das erklären, was Marx die „Einfache Reproduktion“ nennt, nicht aber die Akkumulation von Geldvermögen.

 

Gesell:„Dieses Mehr, aus dem Urzins bestehend,  verschafft sich der Produzent dadurch, daß er mehr Waren produziert und verkauft, als er kauft. Das Mehr, das so die Produzenten erzeugen, wird von den Geldbesitzern für persönlichen Bedarf gekauft, und zwar gerade mit dem Geld, das sie als Zins erheben.“(NWO, S.338)

Marx: „In der Tat, so paradox es auf den ersten Blick scheint, die Kapitalistenklasse selbst wirft das Geld in Zirkulation, das zur Realisierung des in den Waren steckenden Mehrwertes dient. Aber nota bene: sie wirft es hinein nicht als vorgeschoßnes Geld, also nicht als Kapital. Sie verausgabt es als Kaufmittel für ihre individuellen Konsumtion.“ (Kapital II, S. 335ff)

 

Letztendlich können sich also Altvater und  Gesellianer gegenseitig vorwerfen, den Geldfetisch nicht enttarnt zu haben. Altvater aber schreit dann noch laut: „Haltet den Dieb“ – und zeigt dabei auf die Gesellianer.

 

 

5.

Was aber sagen die anderen heutigen Vertreter Gesellschen Gedankengutes, für die ja Onken nicht spricht?  Was sagt Margrit Kennedy dazu, wenn sie von Altvater als „Geldheilerin“ apostrophiert wird? 

Dabei scheint alles doch so einfach zu sein. Jedenfalls meinen dies Geldheiler, die die Fähigkeit des Geldes, per Zinseszins geometrisch wachsende Zuwächse an sich ziehen zu können, mit ihrem gesunden Menschenverstand als Verrücktheit und als Ungerechtigkeit kritisieren und Heilung versprechen. Zins und Zinseszins sollen abgeschafft, die Ungerechtigkeit des Geldes beseitigt werden. Das ist modern eingekleidet die Fortsetzung der aristotelischen Tradition seit mehr als 2300 Jahren. Eine „natürliche Wirtschaftsordnung durch Freiland und Freigeld“ nennt Silvio Gesell sein Hauptwerk. „Geld ohne Zinsen und Inflation“ verspricht eine Geldheilerin, Margrit Kennedy. „Geld ohne Mehrwert“ schlägt Dieter Suhr vor. Bernard A. Lietaer bezeichnet das vom wuchernden Zinseszins geheilte Geld als „Geld der Zukunft“. (Altvater 04, S.12)

 

Soweit bekannt, widerspricht sie dem nicht.  Als  Heilerin hervorgehoben zu werden, ist ja bei vielen Menschen keine negatives Attribut. Im Gegenteil. Genießen  Menschen einmal das Ansehen von Gurus, wird ja vieles wesentlich einfacher.  Sie müssem ihre Aussagen selbst nicht mehr auf rationale Stimmigkeit überprüfen. Und sie brauchen sich auch vor einer Überprüfung von anderen nicht mehr fürchten. Ihre  Aussage wird als wahr „angenommen“  und dann von vielen so lange wiederholt, bis sie zur Mantra  wird. 

 

Eine  dieser Mantras ist die Geschichte vom Anteil der Zinsen in den Preisen.  So verkündet Kennedy einmal mehr bei einer Veranstaltung:

 

„Das zweite Missverständnis ist, dass wir Zinsen nur dann zahlen, wenn wir Geld leihen. Dem ist freilich nicht so, denn in jedem Preis, den wir entrichten, ist ein Zinsanteil enthalten. Nämlich derjenige Zinsanteil, den die Produzenten der gekauften Güter und Dienstleistungen der Bank zahlen müssen, um Maschinen und Geräte anzuschaffen. Bei den
+ Müllgebühren zum Beispiel liegt dieser Zinsanteil bei etwas 12 Prozent, beim
+ Trinkwasserpreis bei 38 Prozent und bei der
+ Miete im sozialen Wohnungsbau erreicht der Zinsanteil sogar 77 Prozent.

Im Durchschnitt zahlen wir vierzig Prozent Zinsen oder Kapitalkosten in allen Preisen und Dienstleistungen, die wir zum täglichen Leben benötigen (CREUTZ,

1993/2004).

Würde der Zins durch eine andere Umlaufsicherung ersetzt, könnten die meisten von uns ihre Einkünfte fast verdoppeln oder entsprechend weniger arbeiten, um denselben Lebensstandard zu haben.“

Und an anderer Stelle dann weiter:

Der Zins ist demnach ein falscher Preismechanismus im „Kräftespiel“ der Marktwirtschaft: Die „Mit-Spieler“ (Wirtschaftsakteure) werden durch Zinskosten bestraft; die „Spielverderber“, die ihr Geld in der Kasse halten können, werden durch Zinseinnahmen belohnt.

Der Zins ermöglicht auf diese Weise im Gegensatz zum viel zitierten Anspruch auf Leistung in einer „Leistungsgesellschaft“ ein leistungsloses Einkommen.“ [5]

 

Hier bedarf es nun keiner tiefschürfenden theoretischen Überlegungen, sondern nur funktionaler Lesefähigkeit, um den Widerspruch aufzudecken: Wenn ohne Zinsabzug alle ihre Einkünfte „fast verdoppeln“ könnten, dann heißt das ja umgekehrt, dass heute  nur mit dem halben Gesamteinkommen Nachfrage nach all dem gehalten werden kann, das mit Gesamtkosten gleich dem Gesamteinkommen vor Abzug der Zinseinkünfte hergestellt wird. Da diese Zinseinkünfte nun aber nicht nachfragewirksam werden, weil „in Kasse gehalten“ , um eben den Zins zu erpressen,  können nur die Hälfte aller Güter verkauft werden [6] Oder aber alle Güter; diese jedoch mit Preisen, die in etwa nur den halben Kosten entsprechen.

 

Wie auch immer: Wenn auf diese Art die gesamten Kosten plus einen Mehrertrag für die zahlenden Zinsen bei den Unternehmen hereinkommen sollen, dann müsste auch gelten:

100 – 50 = 110

Das aber ist nicht einmal mit dem Hexeneinmaleins[7] nachvollziehbar:

„Du musst versteh’n, aus Eins mach Zehn,

 die Zwei lass geh’n,

 die Drei mach gleich.

So bist du reich..

......

 

Genau diese banalen Irrtümer herauszustellen, das tut Altvater nicht.  Ist es ihm zu einfach gestrickt? Wachelt[8] er lieber mit einem Fetisch, statt allein mit Grundschulwissen  eine Mantra zu entzaubern?  Natürlich ist dieser Fetisch geheimnisvoller, läßt sich so viel unterschwellig damit transportieren (das dann notfalls anderen umgehängt wird), was beim eigenen Publikum so viel besser ankommt als die um so viel komplexere Einsicht in die Wirklichkeit.

 

Auf beiden Seiten zählt offensichtlich die Bewunderung der Anhänger mehr als das Bemühen, Einsichten zu gewinnen, die uns alle als Opfern als auch als Täter  projezieren, die jedoch unabdingbare Grundlage für Veränderungen sind.

 

Fetisch contra Mantra.  Ad infinitum!

 

 

Dezember 2004

 

 

 

 


 



[1] In Altvater 04, siehe Fn. 3

[2] Elmar Altvater, Die Gläubiger entmachten, in FREITAG 44,  17.10.2003

[3] Elmar Altvater, Eine andere Welt mit welchem Geld?, Reader von attac, zu finden ebenso wie die Replik darauf von Werner Onken unter http://userpage.fu-berlin.de/~roehrigw/onken/attac2004/dresden-onken

[4] Siehe Fn 2

[5] Protokoll des Open Space Symposiums in St. Pölten  28. bis 31. Mai 2004

[6] Kennedy sagt ja selbst mit dem Satzteil „entsprechend weniger arbeiten, um denselben Lebensstandard zu haben.“, dass unter den gegebenen Umständen nur etwa die Hälfte des Erzeugten konsumiert werden kann. Was aber geschieht mit dem, das liegen bleibt?  Irgendwie erahnt man die Verstopfung, den Darmverschluß der ganzen Wirtschaft, die damit einhergehen müsste.  Daraus folgt dann jene Aussage, die da sagt: Wenn die Zinsen verkonsumiert würden, dann würde sich diese Verstopfung wieder lösen. 

[7] J. W. Goethe, Faust

[8]  Österreichisch: Mit etwas winken, das man schnell bei der Hand hat, ein Taschentuch, irgend ein Fetzen