Folgenden vergnüglichen und denkwürdigen Bericht,  habe ich den "unendlichen Weiten" des WWW gefunden: Er stammt aus dem Buch "Die Raupenplage" des Ethnologen Nigel Barley(*). Barley beschreibt des Volk der Dowayos in Kamerun,  das aufgrund "seltsamer" Bräuche in einem Aufschuldexzess verstrickt ist.
 

Z i t a t :
".... Es folgte ein langer Austausch der üblichen Begrüßungsformeln nach dem Muster "Lacht Ihnen der Himmel?" "Mir lacht er. Lacht er auch Ihnen?" und dergleichen mehr. Aber Ruben war nur mit halbem Herzen bei der Sache; seine Blicke irrten ständig zum hinteren Teil des Lastwagens ab, wo, noch unausgepackt, ein nagelneues nigerianisches Fahrrad lag.

Wie die meisten Westafrikaner litt Ruben schwer unter chronischer Verschuldung. Das war nicht einfach die Folge von zuwenig Geld und zuviel Konsumwünschen. Vielmehr handelte es sich dabei um einen traditionellen Lebensstil. Während wir im Westen unter den Belastungen stöhnen, die ein Hauskauf uns aufbürdet, verschulden sich die Afrikaner bis über beide Ohren, um sich eine Frau zu kaufen.

Die westafrikanischen Zeitschriften sind voll von den Leidensgeschichten junger Männer, die gezwungen sind, große Mengen an Geld und Vieh aufzubringen, um heiraten zu können. Die Jugend geht mit dem System ins Gericht, aber niemand will der erste sein, der seine Tochter oder Schwester weggibt, ohne etwas für sie zu kriegen. Falls er es täte, woher würde dann er seinerseits das Geld nehmen, um für sich oder seinen Sohn eine Frau zu kaufen? Und so bleibt alles beim alten. Die Dowayos wollten es mir immer nicht glauben, wenn ich ihnen erzählte, daß in "meinem Dorf" die Töchter kostenlos abgegeben wurden. Einer der Dowayos, der über unternehmerisches Gespür, wenn auch nur über geringe ethnographische Kompetenz verfügte, fragte an, ob ich nicht eine Ladung herüberschaffen könnte. Wir könnten sie dann Heiratswilligen verkaufen und den Brautpreis einstreichen. Das klang alles höchst vernünftig.

Eine Folge der Brautpreiszahlungen bei den Dowayos ist, daß sich das ganze Land ständig im Rechtsstreit befindet. Die Zahlungen ziehen sich über viele Jahre hin, und von der ganzen Sippe des Mannes wird erwartet, daß sie dabei mithilft. Fast zwangsläufig läuft die Frau dem Mann irgendwann weg, und sei's auch nur, um ihm einen Schrecken einzujagen und ihn in irgendeiner häuslichen Streitigkeit zum Nachgeben zu zwingen. Er wird dann versuchen, die Zahlungen des Brautpreises, die er bereits geleistet hat, zurückzubekommen. Die Sippe seiner Frau wird versuchen, ihn dazu zu bringen, die restlichen Zahlungen zu leisten. Seine eigene Sippe wird höflich anfragen, was aus dem Beitrag geworden ist, den sie geleistet hat. Zum Schluß wird er nicht mehr aus noch ein wissen.

An ausstehende Schulden erinnert man sich Generationen lang, und sie werden von einer Generation auf die andere vererbt. Die Dowayos spinnen endlose Ränke wegen dieser alten offenen Rechnungen. Wie Schachspieler sind sie in der Lage, mehrere Züge im voraus zu planen. Das Höchste der Gefühle ist, wenn es gelingt, eine Schuld einzutreiben, die endgültig verloren schien. Wenn also A zum Beispiel B eine Kuh schuldet, der seinerseits dem mit A befreundeten C eine schuldet, dann kann A die Kuh ohne weiteres C geben und ihm auf diese Weise ermöglichen, eine alte Schuld einzutreiben, von der jeder gesagt hätte, er könne sie gut und gern abschreiben. Natürlich hätte B die Gefahr vorhersehen und seine Schulden mit mehr Umsicht plazieren müssen.

In solch einer Atmosphäre haltlosen Schuldenmachens kann man nicht lange leben, ohne selber in den Strudel hineingezogen zu werden. Ich stand schließlich bei der Missionsstation in der Kreide. Der Häuptling war mein Schuldner, mein Assistent hingegen schuldete seiner Frau Geld, das diese vom Regenhäuptling geliehen hatte. All das führte dazu, daß jeder Kauf oder Verkauf zu einer von Komplikationen strotzenden Aktion wurde, bei der das für die Transaktion benötigte Geld mit ziemlicher Sicherheit irgendwo unterwegs zur Begleichung einer ganz anderen Schuld liquidiert wurde, die vielleicht schon Jahre alt war.

Rubens eigene finanzielle Verhältnisse waren so kompliziert, daß sie einem multinationalen Schweizer Konzern Ehre gemacht hätten; was ihn aber nicht hinderte, sich im Verlangen nach einem Fahrrad zu verzehren. Daß er jemals genug würde sparen kännen, um sich eines zu kaufen, war ausgeschlossen; denn es war genau bekannt, was er verdiente und wieviel davon bereits im voraus verplant war. Ruben hatte also ein Geheimabkommen getroffen, daß er statt einer Gehaltserhähung für geleistete Dienste ein Fahrrad bekommen und die Erhöhung solange unterbleiben sollte, bis das Fahrrad bezahlt war. Damit wurde ihm natürlich ein nicht unbeträchtliches zinsloses Darlehen gewährt, vor allem aber eröffneten sich ganze Welten neuer Schuldnerschaften und Verpflichtungen, die niemand vorhersehen konnte - jedenfalls niemand außer Ruben.

Abgesehen von seinem enormen Gewicht zeichnete sich dieses besondere Fahrradmodell durch die Schrauben aus, mit denen es ausgerüstet war. Diese bestanden aus einer merkwürdigen Legierung, die wahrscheinlich eigens für den Zweck hergestellt war. Wie dem auch sei, die Schrauben trieben einen dadurch zur Weißglut, daß sie einfach abbrachen, wenn man versuchte, sie los- oder festzudrehen. Die Folge war, daß sich mit der ungefähr 150 Kilometer entfernten Stadt ein reger Ersatzteilhandel entspann. Von mir selbst, den Missionaren, dem Doktor und den Lehrern, kurz, von jedem, der auf Reisen ging, wurde erwartet, daß er sich als Einkäufer für Ersatzteile betätigte. Im Lauf der Jahre hatte sich das Modell stark verändert, die Schraubengröße hatte gewechselt, und man konnte nie sicher sein, ob ein neues Teil passen würde oder nicht.
Selbstverständlich wurde für jede Unzulänglichkeit der gelieferten Ersatztteile der Zwischenträger verantwortlich gemacht.
Wann immer das Fahrrad seine Mucken hatte, machte Ruben ein trauriges Gesicht und ließ überall im Haus tiefe und bewegende Seufzer hören, bis man meinen konnte, in einer Leichenhalle zu sein. Schließlich war es nicht mehr auszuhalten, und es wurden ihm auf Kredit neue Teile besorgt, woraufhin sein Gesicht erstrahlte und munterer Gesang das Haus erfüllte. Irgendwie gelang es ihm stets, ein Gefühl heimlicher Schuld in uns zu erzeugen, weil wir ihm ein so fehlerhaftes Fahrrad besorgt hatten.

Es dauerte nur wenige Wochen, da kam ein Dowayo im Dorf zu mir und bat mich, ihm Geld zu leihen, weil Ruben eine Möglichkeit habe, an Ersatzteile heranzukommen, aber auf Barzahlung bestehe. Ich bin der Sache nie weiter nachgegangen, hege aber den Verdacht. daß gegen ein kleines Entgelt Teile von Rubens Rad gegen Teile von denen seiner Klienten ausgetauscht wurden. Das schadhafte Teil konnte dann von Ruben als Beweisstück dafür vorgelegt werden, wie wenig das von Jon gekaufte Fahrrad taugte. Jon beschaffte daraufhin prompt Ersatz, der er Ruben auf Kredit überließ, der seinerseits bei seinen Kunden auf sofortiger Barzahlung bestand und sich außerdem den geleisteten Dienst honorieren ließ. Er hatte sein Rad in eine Bank umgemünzt.........."
( E n d e   Z i t a t)

Robert Fischer, Romanshorn.