Ernst Dorfner
ATTAC und
die demokratische Kontrolle
der strukturellen
Ohnmacht der Zentralbank
oder
Vom Glauben
und Wissen
über
Kredit, Geld und den Geldumlauf
Geld:
Von der Zentralbank bereitgestellt?
ATTAC – das Netzwerk
für eine demokratische Kontrolle der Finanzmärkte – , inzwischen
in 30 Ländern vereinsmäßig organisiert, fordert konkret
folgende Maßnahme[i]:
-
Kontrolle der Finanzmärkte durch
Einführung der Tobin-Steuer, durch Kapitalsverkehrskontrollen
und durch Fixierung der Wechselkurse zumindest der wichtigsten Währungen
Dollar, Euro und Yen zueinander.
-
Eine Entschärfung des Standortwettbewerbes
durch Trockenlegung von Steueroasen und einer global einheitlichen Konzernbesteuerung.
-
Die Entschuldung der armen Länder,
mit Einführung eines Insolvenzrechtes für überschuldete
Staaten.
-
Die Demokratisierung der drei zentralen
internationalen Institutionen der Weltwirtschaft IWF, Weltbank und WTO
und ihre Unterordnung unter Ziele der UNO.
-
Die demokratische Kontrolle der Europäischen
Zentralbank, und vor allem die Abstimmung ihrer Geldpolitik auf beschäftigungs-
und sozialpolitische Ziele.
Was nun aber verbirgt
sich konkret hinter diesen Zauberwörtern „Demokratisierung“, „demokratische
Kontrolle“? Gegen wen oder was richtet sich die ATTAC-Angriff? Wissen die
Initiatoren überhaupt, wie dieser Organismus funktioniert, an den
sie sich chirurgisch heranwagen? Zweifel sind angebracht.So
wird angemerkt, dass „derzeit eine verstärkte Kampagne zur Aufnahme
der Tobinsteuer in einem UNO-Papier zur Geldbeschaffung für ein neues
Entwicklungsprogramm“ läuft. Ergeben sich da nicht Ungereimtheiten
hinsichtlich des von dieser Steuer zu erreichenden Zieles: Kapitalverkehrskontrolle
oder Geldbeschaffung? Wenn es um letzteres geht, darf dann diese Kuh beim
Abweiden saftiger Wiesen überhaupt kontrolliert werden?
Doch es bleibt
nicht allein bei dieser Ungereimtheit.
Beginnen wir bei
letzten Punkt, der demokratischen Kontrolle der EZB.
In einem Papier des
‚Beirates für Gesellschafts- Wirtschafts- und Umweltpolitische Alternativen’
(BEIGEWUM) [ii]
wird diese Kontrolle wie folgt beschrieben:
-
Die EZB hat ihren jeweiligen geldpolitischen
Beitrag für die Realwirtschaft zu begründen, um
das Ziel der Preisstabilität als allgemeine Legitimation für
jede spezifische geldpolitische Maßnahme zu durchbrechen.
-
Der EZB-Rat (das Entscheidungsgremium
der EZB) hat das Ergebnis seiner Beratungen zu veröffentlichen.
Was immer die Verwirklichung
dieser Forderungen bewirken kann, sei dahingestellt. Jedenfalls wird aber
damit die Meinung vertreten, dass die EZB bzw. die Zentralbanken die Fähigkeit
haben, die Geldpolitik zu gestalten bzw. die Steuerung der Geldmenge und
der Zinssätze in den Händen zu halten. Dies ist aber stark in
Zweifel zu ziehen. Bereits bei oberflächiger Betrachtung der Geldmenge
zeigt sich sehr rasch, dass diese ja zum Großteil – rd. 80 Prozent
– nicht von der Zentralbank bereitgestellt wird, sondern von den privaten
Geschäftsbanken[iii].
Der Grundfehler,
den allzu viele – auch ATTAC – begehen, ist darin zu suchen, dass sie sich
überhaupt nicht damit beschäftigen, was denn Geld überhaupt
ist, wie es „bereitgestellt“ wird, was sich mit seiner Bereitstellung alles
verbindet, was diese bewirkt.
„Die Schwierigkeit
liegt nicht so sehr in den neuen Gedanken, als in der Befreiung von den
alten, die sich bei allen, die soerzogen
wurden, wie die meisten von uns, bis in die letzten Winkel ihrer Geistesart
verzweigt.“ So schreibt John M. Keynes im Vorwort zur englischen Ausgabe
seiner ‚Allgemeinen Theorie“. Nirgends scheint dieser Satz so berechtigt
wie bei Thema „Geld“. So gibt es nun seit mehr als fünfzehn JahrenBeiträge
zu einer Neuinterpretation dessen, was Kredit und Geld ist, wie Kredit
bereitgestellt und Geld geschaffen wird. Wiewohl diese Bemühungen
nicht ganz ohne Erfolg geblieben sind, die Meinung, dass Geld durch Verschuldung
entsteht, immer öfter zu hören ist, ist gleichzeitigimmer
wieder zu erkennen, dass diese neuen Gedanken die alten Vorstellungen doch
nicht gänzlich verdrängt haben. Allzu oft werden diese neuen
Gedanken auf die alten Denkschemata nur aufgepfropft. So darf es nicht
verwundern, wenn es bei theoretischen Diskursen immer wieder zu Verwirrungen
kommt und die Diskutanten aneinander vorbeireden.
Um es konkret zu
sagen: Die Theorie, dass Geld durch Verschuldung entsteht, wird an die
noch immer vorherrschende Tausch(mittel)-Theorie des Geldes angehängt.
Dies nicht zuletzt deshalb, weil ja diese Theorie nicht klärt, wo
Geld herkommt, wie Geld entsteht und wie es in den ‚Geldkreislauf’ hineinkommt.
So meint man, mit der Verschuldungshypothese dieses Manko auszugleichen,
alles andere aber weiterhin so wie bisher sehen zu können.
Die Tauschtheorie:
Am Anfang ist die Tauschware
Paul A. Samuelson
schreibt in seinem Standardlehrbuch: „In allen Kulturen, mit Ausnahme der
allerprimitivsten, tauschen die Menschen nicht direkt ein Gut gegen ein
anderes. Statt dessen verkaufen sie ein Gut gegen Geld und verwenden dann
dieses Geld zum Kauf der Güter, die sie erwerben wollen.“Samueölson
dann weiter:„Statt eines doppelten
Zufalls gleicher Bedürfnisse gibt es eher einen Bedarf an Zufall;
nur wenn ein hungriger Schneider einen unbekleideten Bauern trifft, der
über Nahrungsmittel verfügt und sich Hosen wünscht, können
beide einen Handel abschließen. Geld vereinfacht das Wirtschaftsleben.“[iv]
Mit dieser ‘doppelten
Koinzidenz’ wird der Vorteil des Geldes erklärt. Und allein bei diesem
einzigen Vorteil bleibt es auch. Wobei Geld ganz einfach da ist.
Geld ist in diesem
Sinn eine Tauschware, das zwar gebraucht, aber nie verbraucht wird. Als
diese Tauschware, so die Vorstellung, wird Geld von einem Wirtschaftssubjekt
zum nächsten und wieder zum nächsten im Austausch für eine
Verbrauchsware[v]
weitergegeben. Also von A zu B zu I zu R zu Z zu B zuG zu X zu A zu ....Diese
Tauschware ist genau so selbstverständlich da wie jede andere Ware.
Sie wird von irgendjemanden als Ware hergestellt und im Austausch gegen
eine andere in Umlauf gebracht. Und da nicht verbraucht, bleibt sie auch
immerfort darin, soferne sie als Ware nicht zurückgehalten wird.
Wird diese Tauschware
als Schatzmittel zurückgehalten, so wird der Kreislauf unterbrochen.
Daraus entsteht die herkömmliche Vorstellung vom Sparen und Verleihen
von Geld: Die Tauschware, also ein Ding, wird gegen einen Vertrag auf Rückgabe
zu einem bestimmten Zeitpunkt verliehen und so wieder in den Umlauf zurückgeschleust.
Die Tauschware wird also gegen einen Vertrag auf Rückgabe zu einem
späteren Zeitpunkt ausgetauscht. Eine Verbuchung im Sinne der doppelten
Buchhaltung findet dabei dannnicht statt, wenn ein Verleihen ohen Zwischeschaltung
der Bank erfolgt, was ja hier beim Verleihen von Dingen möglich ist.Wenn
aber über eine Bank verliehen-
und verbucht - wird, dann steht im ersten Schritt, dem Verleihen des Geldes
vom Kunden A an die Bank, dem Geldbetrag auf der Aktivseiteeine
Verbindlichkeit gegen A gegenüber. Das Geld bleibt erhalten. Dies
anzumerken ist wichtig, weil sich gegenüber unserem heutigen Geld
hier ein entscheidender Unterschied zeigt. Die Verbindlichkeit ist eine
in Geld. Erst im zweiten Schritt, wenn das Geld an C weiterverliehen wird,
wird die Verbindlichkeit der Bank bzw. die Forderung des A eine Forderung
in Geldvermögen.
Diese Tauschware
ist ursprünglich das Gold – Gold als über die Goldgewinnung produzierte
Ware. Diese Vorstellungeiner Tauschware
bleibt beim Übergang zum Papiergeld erhalten, obwohl man weiß,
dass dessen Produktion kaum mehr Kosten verursacht. So ist Geld in der
üblichen Vorstellungswelt weiterhin ganz einfach da, so als ob es
im Austausch gegen eine andere Ware in den Kreislauf gekommen wäre.
Dieses ‚ganz einfach
Da-sein’ von Geld findet sich so bei Helmut Creutz, wenn er schreibt: „In
einem Kreis gibt es keinen Anfang und kein Ende. Ein einmal in den Kreislauf
gegebener Geldschein kann also endlos kursieren, ganz gleich, wofür
er verwendet wird. Machen wir uns das an einfachen Modellen mit fünf
Beteiligten klar.
A kauft bei B. –
B benötigt das erhaltene Geld nicht und verleiht es an C. – C kauft
bei D. – D verleiht es an E, der damit wieder bei A eine Leistung bezahlt.
Der umlaufende Geldschein wurde also dreimal zum Kaufen und zweimal zum
Verleihen benutzt. Hätte B den erhaltenen überschüssigen
Geldschein nicht verliehen, sondern bei sich liegengelassen, so wären
die nachfolgenden Vorgänge nicht möglich gewesen. Dieses einfache
Beispiel zeigt, welche Gefahren von Geldzurückhaltungen ausgehen.“ [vi]
Aus diesem Modell
wir klar erkennbar, was unter Geld, Kredit und Geldumlauf verstanden wird.
Dabei werden folgende Voraussetzungen stillschweigend und unhinterfragt
immer wieder angenommen:
1.Alle
Waren einschließlich der Tauschware Geld werden in einem vorgeldlichen
Bereich hergestellt.
Die Bereitstellung
von Waren ist also vom Geld nicht abhängig.
Alle
diese Waren treffen erst am Markt aufeinander.
Die
Bereitstellung von neuen Verbrauchswaren nach deren Verkauf bereitet kein
zeitliches Problem. Das Warenangebot rückt also sofort wieder nach,
so dass mit dem weitergegebenen Geld sofort wieder Waren gekauft werden
können.
-
Geld kommt als Tauschware über
einen Tauschvorgang in Umlauf.
-
Geld ist ab da als Tauschware, als
Ding, einfach immer „da“.
Geld kann
so nur verschwinden, wenn die Tauschware missbräuchlich verbraucht
oder als Schatz aus dem Verkehr gezogen wird.
4.Der
Kauf/Verkauf-Vorgang stellt sich als Tauschvorgang dar, bei dem das Ding
„Geld“ gegen andere Dinge getauscht wird.
Geld
zirkuliert als niemals verbrauchte Tauschware, die gegen eine Verbrauchsware
getauscht wird.
Je
rascher dieses Geld zirkuliert – so die Vorstellung -, umso mehr kann verkauft
werden, umso reicher ist also die Gesellschaft.
Geldzurückhaltung
(Hortung) unterbricht den Kreislauf, Weiterverleihen führt das Geld
in den Kreislauf zurück.
Unter
Sparen wird das Nichtverwenden des Geldes durch den Sparer und dessen Weiterverleihen
an einen Kreditnehmer verstanden.
-
Kredit setzt das Vorhandensein von
Geld und setzt Ersparnisse in Geld zwingend voraus.
Um
Kredite vergeben zu können, müssen die Banken Ersparnisse an
sich bringen.
Dazu
müssen sie den Sparern Haben-Zinsen zusichern, die sie dann an die
Kreditnehmer mit Zuschlag einer Bank-Marge weiterverrechnen müssen.
-
Der Zins kommt erst dann ins Spiel,
wenn irgend wo mitten im Umlauf Geld gespart wird und damit Kredite vergeben
werden.
7.Um
Zinsen bezahlen zu können, müssen die Banken das gesparte Geld
an jemand verleihen, der Zinsen zahlt.
Diese
Aussage scheint selbstverständlich und daher entbehrlich. Sie wird
aber gemacht, um schon jetzt auf einen entscheidenden Unterschied zum Kreditgeldsystem
hinzuweisen.
Dieses Modell beschreibt
den mittelalterlichen Handelskapitalismus, nicht jedoch den Produktions-
oder Industriekapitalismus der Neuzeit.Doch
noch immer prägt es die Vorstellungen rund um das Geld: So irgendwie
als Tauschware kommt auch unser heutiges Geld in den Umlauf, bereitgestellt
durch die Zentralbank, die die alleinige Macht zu dessen Bereitstellung
hat, so irgendwie funktioniert das alles auch mit dem modernen Geld, dem
Sparen und den Krediten. So irgendwie. Geld: Ein A-priori.Doch
„nichts genaueres weiß man nicht“.
Die Kredittheorie:
Am Anfang ist der Kredit
Wenn ich heute
im Supermarkt meine Lebensmittel besorge und an der Kasse dann mit der
Bankomat- oder mit der Quick-Karte zahle, so wird mir deutlich bewusst,
dass ich dabei nichts tausche. Es wird allein von meinem Gehaltskonto bei
meiner Bank der bezahlte Betrag abgebucht und dieser dem Konto des Supermarktes
bei seiner Bank zugebucht. Dabei liegt auf meinem Konto keine bestimmte
Summe Geldes in verschiedenen Banknoten. Ich habe lediglich eine Forderung
in besagter Höhe gegen die Bank, festgehalten auf meinem Konto bei
der Bank, der buchhalterisch eine gleich große Verbindlichkeit der
Bank mir gegenüber gegenübersteht. Beim Bezahlen reduziert sich
meine Forderung gegen die Bank, so auch deren Verbindlichkeit mir gegenüber,
nicht aber die Gesamtverbindlichkeit der Bank bzw. des Bankensystems. Es
wird nur ein Teil der ursprünglichen Verbindlichkeit mir gegenüber
in eine Verbindlichkeit gegen den Supermarkt übertragen.
Diese Übertragung
äußert sich nur in den Kundenkonten der Banken, nicht aber in
der konsolidierten Bilanz der monetären Finanzinstitutionen (MFI).
Es ändert sich nichts an der Gesamtsumme der Forderungen und Verbindlichkeiten.
Nur die Kontenzuordnung ändert sich.
Aus dieser konsolidierten
Bilanz wird nun aber deutlich, dass Geld keine Tauschware, kein Ding, mehr
ist, das als solches irgendwann einmal gegen ein anderes Ding getauscht
worden und seit dem im Kreislauf ist.
Auch das Zentralbankgeld,
das noch die Erscheinungsform eines Dinges hat, kommt nicht im Austausch
gegen ein anderes Ding, eine andere Ware, in den Kreislauf. Wie wir aus
der Bilanz der Zentralbank sehen, gelangt das ZB-Geld über einen
-
Zentralbankkredit
-
oder ein Wertpapier - Pensionsgeschäft
an die Geschäftsbanken
und von diesen gleichfalls über einen Kredit an eine Nichtbank (Unternehmen,
Haushalte, Staat) in den Kreislauf. In beiden Fällen aber haben die
Geschäftsbanken schon zu einem früheren ZeitpunktKredite
„aus dem Nichts“ vergeben, bei denen sie jene Wechsel oder Wertpapiere
als Sicherstellung hereingenommen haben, die sie nun für die Bereitstellung
von Bargeld an die Zentralbank abtreten.Dabei
erfolgt die Verzinsung bei ersterem über den Abzug eines Agios und
bei zweiterem durch Lukrierung der Verzinsung der Wertpapiere während
der Zeit der „Pensionierung“ der Wertpapiere inder
Zentralbank.
Wenngleich die
historische Entwicklung vom Goldgeld als Tauschware hin zum Kreditgeld
gelaufen ist und weiter zu immer virtuelleren Geldformen läuft, so
steht heute bei alledem ablaufmäßig der Kredit einer Geschäftsbank
immer an Anfang. Daraus entsteht virtuelles Geld – und nur auf Verlagen
der Bankkunden kommt dann Bargeld, Zentralbankgeld, mit herein in das Zahlungsgeschehen.
Abgesehen von der Nutzung der Anonymität des Bargeldes für kriminelle
Handlungen, sind es fast ausschließlich die privaten Haushalte, die
– mit sinkender Tendenz - noch Bargeld benützen.
Bargeld kommt also
nicht im Voraus in den Umlauf, sondern erst im Nachhinein. Da dieses Verlangen
der Bankkunden nach Bargeld die Geschäftsbanken jedoch direkt oder
indirekt Zinsen kostet, die sie fürZentralbankgeld
zu zahlen haben, bemühen sie sich, dieses Verlangen möglichst
klein zu halten.
Am Anfang ist der
Kredit. Der Kredit einer Geschäftsbank. Und der Kredit wird zu Geld.
Das ist das Neue an unserem heutigen Geld, das ein Geld des Industriekapitalismus
ist. Der Kredit – also Verschuldung – steht am Anfang. Er steht deshalb
am Anfang, weil nur damit die Produktion in einer Gesellschaft begonnen
werden kann, in der das Privateigentum konstitutiven Charakter hat.[vii]
Geld: Ein Spannungsverhältnis
Der Kredit der
Bank B an den Kreditnehmer, den Produzenten A ist zuerst nur ein gegenseitiges
Paar von Forderungen und Verbindlichkeiten: Eine Verbindlichkeit der Bank,
(damit eine Forderung des Kreditnehmers), zu zahlen, gleichzeitig aber
auch eine Verbindlichkeit des Kreditnehmers, (damit eine Forderung der
Bank), rückzuzahlen. Noch heben sich die so gebildeten Spannungsvektorengegenseitig
auf. Erst wenn die Forderung des Kreditnehmers von diesem auf einen Dritten
C, den Lieferanten von Vorprodukten des A,übertragen
wird, „fließt“ Geld. Jetzt heben sich die Vektoren nicht mehr gegenseitig
auf. Während das Kreditverhältnis zwischen Kreditnehmer A und
Bank B in Form einer Forderung der Bank bzw. einer Verbindlichkeit des
Kreditnehmers weiter aufrecht ist, ist die Verbindlichkeit der Bank an
den Dritten C in Form einer Forderung gegen diese übertragen worden.
A hat nun keine Verbindlichkeit mehr gegenüberC,
sondern nur gegenüber der Bank B, C keine Forderung gegen A, aber
eine gegen die Bank B. Damit ist Geld entstanden.
Verwendet nun C
diese Forderung gegenüber der Bank zur Tilgung seines Kredites, den
er vor Beginn der Herstellung des Vorproduktes aufgenommen hat, so hebt
sichdie Forderung des C gegen die
Bank mit seiner Verbindlichkeit gegenüber der Bank auf.C
hat seine Schulden getilgt, das Geld ist wieder verschwunden, ist vernichtet
worden.
Geld existiert
also nur in dem Zeitraum zwischen dem Eingehen des neuen und dem Tilgen
des alten Schuldverhältnisses.
Übrig bleibt
nun A als Schuldner. Und zwar mit einer höheren Schuld als C, weil
dieser im Preis des Vorproduktes, den A zu zahlen hat, zusätzlich
zu seinen Kosten noch Gewinn und Zinsen für den Kredit zurechnet.
Diese Schuld des A, der Kredit, äußert sich in der Bankbilanz
nun aber nicht als Geld, sondern als Geldvermögen. Geldvermögen
entsteht also nicht durch Sparen, sondern durch Verschulden.
Geld ist somit etwas
Nicht-Dingliches, das auch verschwinden kann. So wie der elektrische Strom,
der zwischen unterschiedlich hohen Spannungspotentialen, zwischen einer
Quelle und einer Senke,fließt.
Und so wie bei einem Erdschluss das Stromnetz zusammenbricht,verschwindet
Geld dann, wenn es zu einem Kurzschluss zwischen Neu- und Altschuldnern
kommt. Geld ist also nur solange vorhanden, wie die Fließgeschwindigkeit
zwischen Quelle und Senke, den Neu- und Altschuldnern, eine begrenzte ist.
In diesem Sinn ist
Geld eine Information über das jeweilige Potential-Verhältnis
entweder als Gläubiger oder als Schuldner der kontenführenden
Bank. Und da es beim Bezahlen um nichts anderes wie um die Tilgung von
Schulden geht, braucht es nicht eines Dinges, sondern genügt die Information
über Veränderungen auf dem Konto der Bank. So ist es unerheblich,
ob mit Banknoten oder irgend etwas anderem bezahlt wird, womit die Banken
über diese Veränderung informiert werden.Bargeld
ist also heute eine reine Oberflächenerscheinung, eine umständliche
Verpackungsform ohne konstitutiven Einfluss auf den Inhalt. Was bargeldlos
über elektronische Datenvernetzung erfolgt, setzt sich bei Bargeldbezahlung
als Behebung von Bargeld und Abbuchen des behobenen Betrages vom eigenen
Konto, und nach Bezahlung als Einzahlen von Bargeld und Zubuchen auf das
andere Konto dar.
Wenn heute jemand
sagt, er habe Geld, dann meint sie(er) damit, dass auf ihren (seinen) Konto
eine schwarze Zahl steht – und nicht, dass er zuhause eine Truhe voll Banknoten
hat.
Dass dieses Bargeld
oder Zentralbankgeld nicht konstitutiven Charakter hat, wird auch aus der
konsolidierten Bilanz der MFIs erkennbar. Dieses Bargeld findet sich dort
nur in Spuren auf der Aktivseite, aber nahezu zur Gänze auf Seite
der Passiva neben den täglich fälligen Guthaben, also dem Giralgeld.
Diesem Giralgeld steht das Bargeld also nicht gegenüber, baut Giralgeld
also nicht auf dem ZB-Geld auf, sondern ist dieses ZB-Geld neben dem Giralgeld
noch
im
Umlauf.Rund 20 Prozent ZB-Geld neben80
Prozent Giralgeld. Tendenz für Bargeld weiterhin sinkend. [viii]
Aus all dem wird
erkennbar, dass die Zentralbank die Kontrolle über die umlaufende
Geldmenge – so sie sie jemals hatte – längst verloren hat. Der Vorgang,
den wir als Geldschöpfung bezeichnen, geht immer mehr in die Hände
der Geschäftsbanken über, die aber dazu Partner brauchen: Da
Geld mit Verhältnissen zu tun hat, brauchen die Banken ein Gegenüber:
Jemanden, der Kredite aufnimmt, jemanden, der sich verschuldet. So wie
ein Seil, das auch nur zwischen zwei Fixpunkten gespannt werden kann. So
ist auch die Macht der Geschäftsbanken eine beschränkte. Sie
ist abhängig von der Bereitschaft der Unternehmen, die wiederum von
deren Vertrauen in die zukünftigen Erwartungen (Keynes) abhängt.
Anmerkungen
[i]Beitrag
in ‚Interesse’ Heft 2001/1 von Sepp Wall-Strasser
[ii]BEIGEWUM,
Was hat der Euro mit den Arbeitslosen zu tun? Wien, 1996, Seite 26
[iii]Geschäftsbericht
1999 der Österr. Nationalbank, Tabelle 14*: Für 1997/98/99: Geldmenge
M1 gesamt: 46,9/ 51,3/ 55,8 Mrd. Euro, davon Bargeldumlauf: !0,5/ 10,3/
11,2 Mrd. Euro
bzw. täglich
fällige Guthaben (Giralgeld): 36,5/ 40,9/ 44,6 Mrd. Euro. Ähnlich
für gesamten Euro-Raum lt. Monatsberichte der Deutschen Bundesbank,
II, Bankstatistische Gesamtrechnung, 2. Konsolidierte Bilanz der MFIs:
Dez.1998/99: Bargeldumlauf
(ohne
Kassenbestände der MFIs, ca. 10%) : 323,4/ 349,6 Mrd. Euro, täglich
fällige Guthaben (Giralgeld): 1383,4/
1541,1
Mrd. Euro
[iv]Paul
A. Samuelson, Volkswirtschaftslehre, Bd. I, S. 356, Bund-Verlag, 1975
[v]Auch
die üblichen Gebrauchswaren werden ja mit der Zeit ‚verbraucht’.
[vi]Helmut
Creutz, Das Geldsyndrom, S.52, Ullstein, 1994
[viii]Siehe
dazu auch Fußnote 3.