Brief von Ernst Dorfner
an Margrit Kennedy vom 29. Juni 2004
Anmerkung: Eine Antwort, die mehr enthält als den
Verweis, derzeit gerade mit Vorbereitungen für eine Vortragsreise vollauf
beschäftigt zu sein, habe ich bis heute nicht erhalten. E.D., 20.12.2004
Liebe Margrit Kennedy!
Das Anliegen dieses Mails hätte ich auch in einem persönlichen Gespräch mit
Ihnen in St. Pölten vorbringen können. Ich habe mich aber dann entschieden, es
auf diesen Weg zu tun, kann doch dabei das Thema Ihrerseits ohne Zwang zu einer
sofortigen Antwort reflektiert werden. Denn es geht mir ja nicht darum, Ihnen
vor dem Publikum einen Denkfehler nachzuweisen, sondern um Nachhaltigeres im
Sinne Ihrer positiven Bemühungen. Und bleibt zudem für mich als Fragesteller
mehr Raum, das Problem breiter darzulegen.
Mein Vater Alois Dorfner hat 1935 als Arbeitsloser Silvio Gesell und seine
NWO kennen gelernt. Er blieb ein vehementer Vertreter Lehre bis zu seinem Tod
im Jahr 1983.
Ich selbst war zwei Jahre alt, als mein Vater Freiwirt wurde. Die
Freiwirtschaft -- für die ich später
selbst aktiv tätig war -- begleitet mich
so mein ganzes Leben. Und so kann ich mich auch zeitlebens eines Argumentes
erinnern, dass ich bis heute immer und immer wieder - bis zum Überdruss – höre: Der Anteil des
Zinses in den Preisen, der immer so zwischen 30 und 50 Prozent angesetzt wird,
der den Arbeitenden von ihren Einkünften
entzogen (oder auf die Preise der Waren aufgeschlagen) wird. War es früher ein deutscher Professor, der
irgendwo einmal so eine Ziffer verkündet hat, die dann immer und immer weiter
gereicht wurde, so ist es heute Helmut Creutz, auf dessen Rechnungen sich alle
Aussagen stützen. Ohne die einfache rechnerische Logik dieser Aussage zu
überprüfen.
Auch Sie haben in St. Pölten in diesem Sinn argumentiert. Dabei wäre doch
ganz einfach nur folgende (vereinfachte) Überlegung anzustellen: Die
Lohnempfänger würden ohne Zinsbelastung insgesamt 100 (Prozent) an vollem
Arbeitsertrag (volle Lohnsumme) erhalten. Dieser vollen Lohnsumme entsprechen
gleichermaßen die Kosten der Unternehmen, die sie – noch ohne Gewinnaufschlag
-- über die Preise der Erzeugnisse bei ihrem Verkauf wieder hereinbringen müssen. Wenn nun aber 40
(Prozent) von der vollen Lohnsumme an
Zinserträgen an die Geldbesitzer abgehen, die dann gehortet werden und
so brach liegen, so bleiben den Lohnempfängern nur 60 (Prozent). Damit aber
stellt sich die Frage: Wie können die Lohnempfänger mit 60 (Prozent) die Waren
mit einer volkswirtschaftlichen Preissumme von 100 kaufen??
Das geht wohl so nicht: Entweder bleiben mindestens Waren im Wert von 40
liegen, oder die Waren werden verlustbringend weit unter Kosten verkauft. Damit
aber würde das ganze System schon in kürzester Frist zum Scheitern verurteilt
sein.
Nun wird ins Treffen geführt, dass eben deshalb die Bemühungen um
Aufrechterhaltung des Systems dazu zwingen, die 40 Prozent an Zinseinkünften
eben nicht brach liegen zu lassen, sondern wieder in Netto-Investitionen hinein
zu stecken und so wieder zu Lohneinkünften der Beschäftigten im
Investgüterbereich zu machen. Wobei eben diese Zusammenhänge den Zwang zum
Wirtschaftswachstum hervorriefen.
Dieses Argument ist nicht von der Hand zu weisen. Allerdings geht es dabei
vorerst einmal nur um das Recycling einer bestimmten Summe an Geldeinkommen bei
einer stetig wachsenden materiellen Fülle an Produktionsmitteln, in die
investiert wird, und damit an Sachvermögen. Eine Akkumulation an Geldvermögen
aber tritt dabei nicht ein. Es wird ja immer nur die gleiche Geldsumme
verwendet. Wobei bei immer mehr Produktionskapazität immer mehr Waren
hergestellt werden, denen eine konstante Summe an gesamtvolkswirtschaftlichen
Lohneinkünften gegenübersteht. Die Folge wäre ein deflationärer Verfall der
Preise.
So aber ist die Sachlage ja nicht, wird erklärt. Und Sie selbst heben ja
immer hervor, wie extrem die
Geldvermögen automatisch über den
Zinseszinsmechanismus wie von selbst wachsen.
Die Preise verfallen also nicht, weil ja nicht nur das über die Zinsen
angeeignete Geldvermögen immer wieder investiert wird – und werden muss –
sondern auch die auf das Vermögen anfallenden Zinseszinsen, so dass das
gesamtvolkswirtschaftliche Einkommen eben nicht gleich bleibt, sondern wächst.
Dieser Zinseszins-Mechanismus wird nun aber mit der Hortungsfähigkeit von
Geld erklärt, das so den Zins erpressen würde. Das heißt, Geld wird von der
Nachfrage zurückgehalten, denn damit könnte die Überlegenheit des Geldbesitzers
über den Warenbesitzer zur Wirkung kommen und von diesem einen Mehrwert
erzwingen, so wie es Gesell beschrieben hat:
„Wenn nun die Nachfrage die Freiheit, die sie genießt, sich zunutze
macht und vom Markt fernbleibt? Dann
wirkt der Zwang, dem das Angebot unterliegt, dahin, daß das Angebot die
Nachfrage aufsucht, ihr entgegeneilt, sie heranzulocken sucht durch Anbieten
eines Vorteils. Das Angebot braucht die Nachfrage, und der Nachfrage ist diese
Notlage des Angebots bekannt. Folglich wird die Nachfrage der Regel nach auch
eine Sonderleistung zu fordern imstande sein für das Vorrecht, vom Markte fernbleiben
zu können. ......
Nehmen wir an, Müller und Schmied, durch Raum und Zeit getrennt, wollen
ihre Erzeugnisse, Mehl und Nägel, austauschen und brauchen zu dem Zweck das
Geld, das Meyer verfügbar hat. Meyer kann den Tausch, wenn er will, vermitteln,
er kann den Tausch aber auch verzögern, unterbinden, einfach verbieten, denn
sein Geld lässt ihm die Freiheit, den Zeitpunkt für die Vermittlung des
Tausches auszuwählen. Ist es da nicht selbstverständlich, daß Meyer sich diese
Macht bezahlen lässt und dass Müller und Schmied in einen Abzug an ihre
Forderungen für Mehl und Nägel einwilligen müssen? ... Verweigern sie dem Geld
ihre Abgabe, so zieht sich das Geld einfach vom Markt zurück, und Müller und
Schmied müssen unverrichteter Sache ihre Habe mit schweren Unkosten wieder
nachhause bringen.... Wir können also
sagen: unser heutiges Geld vermittelt der Regel nach den Austausch der Waren
nur unter Erhebung einer Abgabe.
Wir können also sagen: Unser heutiges Geld vermittelt der Regel nach
(also kaufmännisch) den Austausch der Waren nur unter der Bedingung eines
Tributes. Ist der Markt die Straße, auf der die Waren ausgetauscht werden, so
ist das Geld der Schlagbaum, der nur nach Zahlung des Wegegeldes gehoben wird.
Das Wegegeld, der Profit, der Zins oder wie man es nennen mag, ist die
allgemeine Voraussetzung” (GW6, S. 117ff, GW9, 309ff, GW11, S.182ff)
Ich gebe nun zu,
dass auch ich die Mängel in der Logik dieser Überlegungen lange Zeit nicht
gesehen habe. Auch ich habe nie gefragt, wie denn Müller und Schmied jemals
mehr an Meyer zurückzahlen können, als sie von ihm erhalten haben? Sie können an Meyer zwar etwas von ihren
Waren abtreten, aber kein Mehr an Geld, das ja
allein im Besitz von Meyer ist.
Interessanter
Weise ist das nun eine Frage, die – wie ich selbst erst viel später entdeckt
habe -- auch Silvio Gesell selbst beunruhigt haben muss, die er aber – so
scheint es -- dann durch „ein aus dem Mittelpunkt rücken“ „gelöst“ hat. So heißt es in der NWO:
”Die Ware wird mit Geld gekauft und, mit Urzins belastet, an den
Konsumenten gegen Geld wieder verkauft
..... Hiernach müsste der Konsument regelmäßig mehr Geld ausgeben als er
als Produzent einnimmt.
Dieses Mehr, aus dem Urzins bestehend, verschafft sich der Produzent dadurch, daß er
mehr Waren produziert und verkauft, als er kauft. Das Mehr, das so die
Produzenten erzeugen, wird von den Geldbesitzern für persönlichen Bedarf
gekauft, und zwar gerade mit dem Geld, das sie als Zins erheben. Mit den
Handelsspesen verhält es sich ebenso.” (GW6, S. 214,
GW9, S. 368, GW11, S. 338)
In der Urfassung der NWO, der Neuen Lehre von Zins und Geld“ steht der zweite Teil dieses Zitates noch im Haupttext, in der NWO in allen Auflagen aber wandert er dann in eine Fußnote. Und eben diese Fußnote blieb auch außerhalb der Betrachtung aller Generationen von Freiwirten. Und ich gestehe: Auch ich habe das nie gelesen geschweige denn beachtet. Auch ich habe deshalb nie den Schluss daraus gezogen, dass das zwar die Ausbeutung des Lohnarbeiters beschreibt, dem ein Teil seines Arbeitsertrages buchstäblich vom Geldgeber weggefressen wird, nie aber den Zinseszinsmechanismus.
Bis mir eines Tages
das Buch von Paul C. Martin, „Kapitalismus, ein System, das funktioniert“ in
die Hände fiel. Und dort fand ich dann ein Zitat von Karl Marx, das mich
seitdem begleitet:
„Die Frage ist
nicht: Wo kommt der Mehrwert her? Sondern: Wo kommt das Geld her, um den
Mehrwert zu versilbern? [...] Das in Form von Geldkapital vorgeschoßne
zirkulierende Kapital von 500 Pfd. St. [...] sei das zirkulierende
Gesamtkapital der Gesellschaft. Der Mehrwert sei 100 Pfd. St. Wie kann nun die
ganze Kapitalistenklasse beständig 600
Pfd. St. aus der Zirkulation herausziehn, wenn sie beständig nur 500 Pfd. St.
hineinwirft?“ (Das Kapital II, S. 330/331)
Dieses Zitat gab mir
heftig zu denken. Und führte mich
letzten Endes dazu, mein bisher erworbenes Gedankengebäude einer
gründliche Revision zu unterziehen. Die
ich seither immer wieder mit der Lektüre von P. C. Martin begründe.
Um so mehr war ich
daher erstaunt, dass sie in St. Pölten so positiv auf dieses Buch von P.C.
Martin für das Verstehen unseres Wirtschaftssystems hingewiesen haben, die Lehre, die ich daraus zog, aber nicht
gezogen zu haben.
Ich habe damals – es
ist schon an die zwanzig Jahre her -, Karl
Marx zur Hand genommen und nicht nur dieses Zitat heraus gesucht, sondern dort
auch weiter gelesen. Was nun aber Marx zur Antwort gibt, begründet aber nur
das, was er ‘einfache Reproduktion’ nennt, nicht aber die ‘Akkumulation’ oder ‘erweiterte Reproduktion’:
„In der Tat, so
paradox es auf den ersten Blick scheint, die Kapitalistenklasse selbst wirft
das Geld in Zirkulation, das zur Realisierung des in den Waren steckenden
Mehrwertes dient. Aber nota bene: sie wirft es hinein nicht als vorgeschoßnes
Geld, also nicht als Kapital. Sie verausgabt es als Kaufmittel für ihre
individuellen Konsumtion.“ (Das Kapital
II, Dietz 1953, S. 335).
Dies alles
veranlasste mich zu einem gründlichen Nachdenken, wobei ich vorerst einmal zu
folgenden Erkenntnissen kam:
1.
In den üblichen volkswirtschaftlichen
Kreislaufmodellen wird immer so der Eindruck vermittelt, dass mit den im
Produktionsprozess erworbenen Geldeinkommen gerade auch die in eben diesem
Prozess hergestellten Waren gekauft werden.
Tatsächlich ist das aber unmöglich. Denn diese Waren sind ja noch in
Fertigung und können noch gar nicht verkauft werden. Was mit dem Geld aus
dem heute laufenden Produktionsprozess gekauft wird, sind die schon
fertigen Waren, die gestern gefertigt wurden und heute fertig am Markt
sind. Hier ergibt sich also eine
Verknüpfung der Vergangenheit mit der Gegenwart, und der Gegenwart mit der
Zukunft. Es kommt die Zeit mit herein in die Betrachtung – und mit der Zeit
auch erst das Thema „Schulden“. Denn Schulden gibt es nur in der Zeit.
2.
Daraus ergibt ich aber dann auch die Erkenntnis,
dass die Geldnachfrage nach den heute fertigen und gestern erzeugten Waren
davon abhängt, wie viel Geld heute in die laufende Produktion
hineingesteckt wird. Was aber zur Frage
führte, ob wir denn nun ein geschlossenes Geldsystem hätten, in dem eine
bestimmte, von Außen vorgegebene Summe Geldes zirkuliert, die wohl
unterschritten, aber nicht überschritten werden kann --- oder ob wir ein offenes Geldsystem haben, in dem die Geldmenge
verändert und so auch erhöht werden kann.
3.
Diese letzte Meinung konnte dann auch dadurch
bestätigt werden, dass unser Geldsystem als ein System erkannt wurde, in dem
Geld aus Krediten hervorgeht, Geld Kredite zur Voraussetzung hat, und nicht umgekehrt, wie die Neoklassik und
auch die Freiwirtschaft meint, das Vorhandensein von Geld (Geldersparnissen)
die Voraussetzung für die Vergabe von Krediten ist.
Damit konnte die Frage nun beantwortet werden, die Karl Marx gestellt
hatte. Und, so wie ich erst viel später entdeckte, inhaltlich fast gleich, auch
Silvio Gesell. Aber auch Gesell löst damit das Rätsel der Akkumulation von
Geldvermögen nicht. Auch er bleibt bei der „Einfachen Reproduktion“ (Marx) hängen. Eine erste stimmige Antwort
geben erst die Keynesianer Michal Kalecki und Joan Robinson.
„Der Überschuss der Einnahmen aus dem
Verkauf von Konsumgütern über deren Lohnsumme ist gleich der Lohnsumme im
Investitionssektor. Die Gewinnspanne beim Verkauf der Konsumgütern hindert die
Arbeiter daran , ihr gesamtes eigenes Produkt zu konsumieren und ermöglicht den Arbeitern im
Investitionssektor, am Konsum teilzuhaben. Je größer der Investitionssektor
ist, desto höher sind die Gewinnspannen und desto niedriger ist das
Reallohniveau.
Der Gewinn aus der Tätigkeit während jeden Jahres ist gleich dem Wert dessen,
was während des Jahres zum Kapital dazugeschlagen wurde, aber da die Wirtschaft
sich jedes Jahr ausweitet, sind die Investitionen in jedem Jahr größer als im Vorjahr: ........Daher müssen
die Unternehmer ständig über ihre Gewinne hinaus finanzielleMittel investieren.
Es muß daher eine ständige Expansion des Kreditvolumens geben. Solange die
Unternehmer fortfahren zu investieren, erzielen sie ständig Gewinne, und die
Tätigkeit in jedem Jahr befähigt sie, die Darlehen zurückzuzahlen, mit denen
diese Tätigkeit finanziert wurde. So kann die Wirtschaft ständig expandieren.“ (Joan Robinson, "Über Keynes hinaus" / Europa-Verlag 1962 S. 99 )
Damit aber beschreibt Robinson das Verschuldungssyndrom, das als idealtypischen Akteur der Verschuldung die Unternehmen, die Wirtschaft vorsieht. Wobei bei deren mangelnder Bereitschaft lange Zeit der Staat als Schuldner einspringen musste, bis die Überstrapazierung der Staatshaushalte mit den Zinslasten -- und auch die Maastricht-Kriterien – zur gegenwärtigen Situation führten, wo nu der Staat mangels ausreichender Steuereinnahme zu Folge mangelnder Investitionsbereitschaft der Unternehmen zu Tode gespart wird.
Aus dieser Situation heraus haben wir von newmoney-Liste den Taxos-Vorschlag (www.taxos.info) entwickelt.
Soweit meine kritische Anmerkungen zu Ihrem Referat, auch eingedenk ihres Hinweises am Anfang Ihres Referates, dass es Ihnen auf eine ganz genaue Wortwahl und ganz präzise Darstellung des Sachverhaltes ankommt.
Mit freundlichem Gruß
Ernst Dorfner